Olfie Obermayer und der Ödipus
sein Glas und schnitt für die Joschi noch eine Scheibe Brot ab.
Die Joschi grapschte gierig nach dem Brot. »Na klar hab ich keine Ahnung davon«, sagte sie. Und dann erzählte sie dem Müller von der Art von Leben, von der sie viel Ahnung hatte. Vom Leben mit einer sturen, gleichgültigen Mutter und einem jähzornigen, brutalen Vater. Alles andere, sagte sie, müsse besser sein, als so zu leben. Und weil die Joschi die Sache mit der Schulternarbe nicht erwähnte, erzählte ich sie.
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Und darauf sagte die Joschi, das mit der Schulter sei gar nicht so sehr arg gewesen, viel ärger sei es gewesen, wie er ihr einmal, als sie noch ein kleines Kind war, den Zeigefinger mit dem Feuerzeug verbrannt habe, weil sie unerlaubt mit Zündhölzern gespielt hatte; damit sie sich vor Feuer fürchten lerne. Und wie die Joschi mit der Sache fertig war, sagte sie:
»Aber das war auch nicht das Ärgste, viel schlimmer war noch ...« Und so ging das weiter. Fast bis Mitternacht er-zählte die Joschi von dem, was ihr der grausliche Vater alles angetan hatte. Ganz heiser war ihre Stimme schon.
Um Mitternacht schließlich sagte der Müller, die Joschi möge aufhören mit diesen Berichten, ihm sei schon ganz kotzübel. Und sie brauche auch keine Angst haben, daß sie nicht hier bleiben könne. Er wisse zwar sehr genau, daß er sich dadurch strafbar mache, aber diese bürgerliche Gesetzesübertretung nehme er gern in Kauf, sonst müsse er sich sein Leben lang vor sich selber schämen. Nur ich, sagte er, müsse einsehen, daß es gemein wäre, meine Mutter nicht zu verständigen. Ich motzte ein bißchen herum, sagte, die blö-
de Zimmer-Razzia sei schon Grund genug, die Weiber in Sorge dunsten zu lassen, und die sture Uneinsichtigkeit der Mama sei noch viel mehr Grund, keinerlei Lebenszeichen zu geben, aber der Müller ließ das nicht gelten. Und ganz im geheimen gab ich ihm eigentlich recht! So ließ ich mich von ihm zum Telefon treiben. Erstaunlicherweise, wohl aus Berufsgründen, hatte er eines. Er sagte mir die Vorwahl von Wien, ich wählte sie und hinterher unsere Nummer. Schon nach dem ersten Klingelzeichen wurde abgehoben. »Obermeier«, brüllte meine Oma ins Telefon. Da verließ mich der Mut. Ich drückte dem Müller den Hörer in die Hand und
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flitzte in die Küche hinaus. Der Müller wollte den Hörer zwar absolut nicht haben, so weit die Telefonschnur reichte, verfolgte er mich. Als das Telefonkabel straff gespannt und ich noch immer außer Reichweite war, murmelte er »Sa-tansbraten, du«, seufzte und sagte dann freundlich in den Hörer: »Hier spricht Johannes Müller, ich möchte Frau Dr.
Obermeier sprechen!«
Die Joschi wusch unser Nachtmahlgeschirr, ich nahm ein Tuch und trocknete ab. Der Müller, mit dem Telefon in der Hand, wanderte wieder zum Schreibtisch zurück. Die Joschi lächelte mir zu. »Der macht's schon«, sagte sie leise und ganz verklärt zur Stube hin.
Drinnen in der Stube, sagte der Müller: »Servus, Moni! Ich rufe an, um dich zu beruhigen. Unser, also dein Sohn ist nämlich bei mir. Er ist...« Anscheinend war ihm die Mama ins Wort gefallen, sonst hätte der Müller ja nicht mitten im Satz zu reden aufgehört. Ziemlich lange schwieg er, doch plötzlich brüllte er richtig los. »Einen Schmarren hab ich ihm gesagt!« schrie er. »Kein Wort! Aus irgendwelchen Scheißtagebüchern von dir weiß er es!« Dann war wieder die Mama am Wort, und dann rief der Müller ziemlich zornig: »Jetzt mach einen Doppelpunkt! Wenn du ihn zurückhaben willst, dann hol ihn dir! Ich erstatte ihn erst zurück, wenn ihn selbst danach gelüstet!« Und wieder nach einer Unterbrechung: »Okay, okay! Hetz von mir aus eine Kom-panie Rechtsanwälte auf mich, das ist mir doch scheißegal!
Aber unser, pardon, mein Sohn wird das nicht richtig finden!«
Hierauf knallte er den Hörer auf den Apparat und sagte laut und deutlich: »So eine Kuh, so eine arrogante! Die ist ja in den letzten vierzehn Jahren total verblödet!« Der Müller
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kam in die Küche, lobte unsere emsige Hausarbeit, schenk-te sich wieder ein Glas Wein ein und trank davon und sagte:
»Ich hoffe, die Lady kommt erst morgen früh angesaust und raubt uns nicht den Schlaf!«
»Weiß sie denn überhaupt, daß du hier wohnst?« fragte ich hoffnungsfroh; wobei meine Hoffnung die war, daß sie es nicht wußte. Außerdem begann mein Herz ganz rasant zu klopfen, wie ich merkte, daß ich zum Müller »du« gesagt hatte.
»Wissen tut sie es nicht«,
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