Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
heraus“, sagte Hell, „dann können wir ihrer Theorie nach davon ausgehen, dass Dempf Dreck am Stecken hatte. Oder das unser Täter das zumindest so sieht. Endlich. Ich bin froh, dass ich Sie noch angerufen habe, Frau Leck.“ Er lächelte sie an. Sie lächelte zurück. „Und nun sagen Sie mir, warum sie mich wirklich angerufen haben.“
Hell fühlte sich ertappt. „Wieso, das war rein dienstlich. Wie kommen Sie darauf?“ Er stotterte.
„Kommissar Hell, ich bin Profilerin. Und ich wäre eine schlechte Profilerin, wenn ich so etwas nicht bemerken würde. Also?“ Ihr Lächeln war süffisant. Wieder dieser Blick.
Hell schaute in sein Weinglas. Er hatte sie angerufen, um mit ihr über Christoph zu reden. Und nun hatte sie ihn ertappt. Egal. Er hob den Kopf und schaute sie an.
„Mein Sohn. Es geht um meinen Sohn. Ich habe Angst um ihn und ich habe Angst vor ihm.“ Sie horchte instinktiv auf.
„Drogen?“
„Sehr wahrscheinlich.“
„Ist er gewalttätig?“
„Gewalttätig?“ Hell überlegte. „Er hat Benzin in meinem Schlafzimmer vergossen und vorgestern hatte ich einen leeren Benzinkanister in meiner Küche. Wie nennt man das? Ist das in ihren Augen gewalttätig?“ In seinen Worten schwang die Verzweiflung mit.
„Sie beiden brauchen Hilfe. Wo ist ihr Sohn jetzt?“ Ihre Antwort hörte sich freundlich an, doch beinhaltete sie Hells völliges Versagen als Vater.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Sie wissen nicht, wo er wohnt?“
„Doch. Sicher.“
„Sie sind Polizeibeamter. Was würden Sie tun, wenn es nicht ihr Sohn wäre?“
„Ich würde ihn verhaften und in die Psychiatrie einweisen lassen“, antwortete Hell und sprach aus, was ihm die ganze Zeit als unaussprechliche Wahrheit im Kopf herumgespukt war. Es war ganz einfach gewesen. Sehr einfach.
„Also, dann sollten sie das tun. Er braucht ihre Hilfe. Er schreit nach ihrer Hilfe. Auch wenn sein Schrei nicht wie ein Schrei nach Hilfe aussieht.“
„Ich habe nie gedacht, dass ich so etwas einmal tun würde. Er war schon drei Mal auf Entzug gewesen. Jedes Mal hatte es so ausgesehen, als würde er es schaffen. Aber er schaffte es nicht.“
Franziska Leck lehnte sich zurück. „Der Drogenkonsum ist nur ein Symptom. Sein Problem liegt viel tiefer. Das kann ein Entzug niemals lösen. Das ist wie eine Lungenentzündung mit Schnupfenmitteln zu behandeln.“
„Wie kann ich ihm das antun? Das wird er mir nie verzeihen.“
„Nein! Denken Sie anders. Sie helfen ihm. Er fordert es ein. Glauben Sie mir.“ Hell hatte plötzlich das Gefühl, dass er das alles mit ihrer Hilfe durchstehen könnte.
„Wie war ihr Vater-Sohn-Verhältnis?“
Hell wusste, die Frage hatte kommen müssen. Sollte er jetzt antworten, dass sein Sohn immer hinter seiner Arbeit zurückstehen musste? Sollte er ihr sagen, dass seine Frau ihn aus demselben Grund verlassen hatte? Musste er ihr das überhaupt beantworten?
„Was denkt die Profilerin?“ Er spielte ihr den Ball zu. Dachte er.
„Es war sicher kein liebevolles Vater-Sohn-Verhältnis. Sonst säßen wir beide jetzt nicht hier.“
Hell fixierte sein Gegenüber. „Was für einen Grund sollte ich haben, Sie anzulügen? Oder anders gefragt, welche Gründe konnte ich haben, nicht die Wahrheit zu sagen?“ Er versuchte, noch ein bisschen Contenance zu waren. Diese Frau sah ihm in die Seele.
„Weil sich kein Vater eingesteht als Vater versagt zu haben.“ Ihre Direktheit erschreckte ihn. Hell kam die Situation plötzlich grotesk vor. Noch vor ein paar Tagen hatte er diese Frau nicht gekannt. Jetzt ließ er es zu, bei ihr einen Seelenstriptease zu machen. Was ihn am meisten verwunderte. Sie verzog bei allem keine Miene. Das war ihr Job. Keine Emotionen zeigen, den Verdächtigen in die Karten zu schauen.
„Ja, es gibt Situationen, da ist die Antwort interessanter als die Frage.“
„Wie ist ihre Antwort?“
„Ich war ein schlechter Vater. Ja, das war ich wohl, ein schlechter Vater. Und ich war auch ein schlechter Ehemann. Ich bin ein guter Polizist. Mehr nicht.“
„Fühlen Sie sich jetzt entlarvt?“
„Ja. Nein. Vielleicht!“ Hell versuchte zu grinsen, um seine Unsicherheit zu überdecken.
Sie lachte. „Entscheiden Sie sich für eine Antwort. Sie haben keinen Grund für eine Lüge. Sie haben mich gefragt, ich habe sie gefragt. So läuft das Spiel.“
„Ja, ich fühle mich ertappt. Ich habe noch nie eine Profilerin erlebt. Und ich bin wahrlich froh, dass ich auf der Seite der Guten stehe.“ Sie
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