Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
hinüber. Frau Dempf vergrub gerade ihren Kopf in Meinholds Schulter. Ihn schauderte. Manchmal hasste er seinen Job. Vor allem, wenn es darum ging, ahnungslosen Menschen die emotionalen Abgründe ihrer toten Angehörigen zu erklären. Hell trat hinaus in den Hof. Das Sonnenlicht blendete ihn. Er zog eine Sonnenbrille aus dem Jackett und ging zu einem der beiden Ställe hinüber.
Während der nächsten zwei Stunden arbeiteten die Beamten in Dempfs Arbeitszimmer hart und konzentriert. Seine Frau gab bereitwillig Auskunft. Sie zeigte den Beamten die Ordner, in denen die Quittungen für die Reitstunden abgeheftet waren. Es tauchten aber auch andere Quittungen auf. Auf denen waren Seminare abgerechnet, die ihr Mann gegeben hatte. Wendt hakte nach und es stellte sich heraus, dass sie zu den maßgeblichen Zeiten immer selber auf Fortbildung war. Fortbildungen im therapeutischen Reiten. Was ihr Mann für Seminare gab, wusste sie nicht. Er sagte ihr, es seien alles geschäftliche Treffen gewesen. Es fanden sich auch Rechnungen für eine Einrichtung eines Seminarraumes mit fortschrittlicher Technik, die speziell dafür angeschafft worden waren. Wendt ließ sich den Raum zeigen und er fand ihn merkwürdig unbenutzt, total steril eingerichtet. Auf dem Schreibtisch war ein Laptop aufgestellt.
Hell streifte über das Grundstück, trieb sich in den beiden Ställen herum. Er streichelte einen braunen Hengst, der neugierig seinen Kopf aus dem Gatter gereckt hatte. Hell ging weiter. Suchte er etwa nach Spuren für sexuelle Aktivitäten? Es wäre purer Zufall gewesen, etwas zu finden. Und er fand tatsächlich nichts. Er kam sich lächerlich vor. Nichts ließ darauf schließen, dass hier irgendetwas anderes als Reitunterricht abgehalten wurde. Aber konnte man mit Reitunterricht so eine Haussanierung finanzieren?
Hell ging auf der anderen Seite aus dem Stall heraus. Wieder blendete ihn die Sonne. Er sah auf der Wiese nicht weit weg eine Bank stehen und ging dorthin. Es besteht ein Zusammenhang und das, was nun ans Tageslicht kommen würde, brachte sie einen Schritt näher an den Täter. Da war Hell sich sicher.
Seine Gedanken schweiften ab. Er stellte sich vor, wie sein Sohn in seinem Schlafzimmer stand, in der Hand einen Benzinkanister. Er stellte sich vor, wie er das Benzin ausgoss. Dann zog er ein Feuerzeug hervor und lies es auf den Boden fallen. Sofort brannte Christoph wie eine Fackel. Er blieb starr stehen und brannte. Hell zuckte zusammen. Das war ihm bisher gar nicht in den Sinn gekommen. Hatte sein Sohn dort einen Selbstmordversuch unternehmen wollen? In seinem Schlafzimmer. Hatte ihn dann der Mut verlassen?
Gottseidank.
Er stand auf und vertrieb diesen aufwühlenden Gedanken. Er würde Doktor Leck darauf ansprechen, sobald er sie wieder traf. Für einen erneuten Anruf fehlte ihm der Mut. Er brauchte einige Minuten um sich wieder zu beruhigen.
Selbstmord.
Er durchquerte den Stall und wollte herüber zu dem anderen Stall gehen. Auf dem Hof liefen geschäftig die Beamten umher. Sie trugen leere Beweiskisten in das Haus und bereits gefüllte wieder heraus. Wieder Arbeit für die KTU. Er ging weiter. Der abrupte Wechsel zwischen Helligkeit und dem Dämmerlicht des Stalles ließ ihn eine Weile am Eingang verweilen. Die Boxen auf beiden Seiten waren leer. Auch der braune Hengst war nicht mehr in der Box. Wo war das Pferd hin? Hell durchquerte den Stall. Auf der anderen Seite war ebenfalls ein Tor. Es stand offen und dahinter war eine eingezäunte Koppel. Auf dem Boden lag eine Mischung aus Stroh und Sand. Frisch eingestreut. Dort stand der braune Hengst. Er war mit dem Zaumzeug an dem Zaun angebunden. Wer hatte das getan? Wer hatte das Tier aufgezäumt? Hell war davon ausgegangen, dass Frau Dempf alleine auf dem Hof war. Anscheinend war das nicht so. Als Beweis dafür trat eine junge blonde Frau plötzlich neben ihn. Sie trug Reitersachen, Reitstiefel und hatte ihr Haar zu einem legeren Zopf geflochten. Ihr Sattel lag lässig auf der Schulter.
„Sie sind von der Polizei?“
Hell zuckte zusammen. „Ja“, sagte er, „Ist das ihr Pferd?“
„Ja“, sagte die junge Blonde und wuchtete den Sattel auf den Rücken des Pferdes, „Was dagegen?“
„Nein, natürlich nicht. Ich dachte nur nicht, dass hier jemand im Stall sei.“
„Schon gut. Die Polizei kann ja nicht alles wissen. Jennifer Dittmann heiße ich. Und Sie?“
„Mein Name ist Oliver Hell. Ich untersuche den Mord an Thomas Dempf. Den haben Sie ja sicherlich
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