Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
Straße betrat, hatte er den Gullydeckel über sich abgesenkt. Es war ihm klar gewesen, dass er nur Sekunden Zeit haben würde. Der Zeitplan war perfekt gewesen.
Trotzdem, er hatte auf den Kopf von Thomas Dempf gezielt und nur seinen Hals getroffen. Eine Fehlleistung. Wer weiß, vielleicht kam es irgendwann darauf an, dass er genau traf. Er legte seinen Kopf gegen die Betonröhre und verfolgte den Flug des Pfeiles immer wieder im Geiste. Perfektion. Er musste perfekter werden. Daran hing alles. Perfektion.
Nach einer Weile fielen seine Augen zu und er schlief ein. Mitten in der Nacht wachte er auf, völlig steif. Er lauschte. Alles war ruhig. Die Kriminaltechniker hatten ihre Arbeit beendet. Der Gullydeckel glitt nach oben, er schaute durch den Spalt auf die Straße. Alles war frei, der Friedhof lag in nächtlicher Stille. Er schob den Deckel beiseite und zog sich aus dem Gefängnis hervor. Es dauerte diesmal lange, bis er daheim ankam. Es fuhren keine Busse mehr zu dieser Zeit. Er schlüpfte durch die Gartentüre, lief über den Rasen und schob die Terrassentüre beiseite. Nach einer ausgiebigen Dusche legte er sich auf sein Bett. Dort fiel er in einen traumlosen Schlaf.
*
Dimitri Zeiger hatte nichts, was er seiner Mandantin sagen konnte. Er hatte jetzt tagelang Hesse überwacht ohne ein nennenswertes Ergebnis. Hesse tat rein gar nichts. Er war dauernd daheim, holte seine Zeitung rein, wusch sein Auto in der Auffahrt. Das war das Spannendste. Er hatte keinerlei Kontakt zu einer anderen Frau. Er hatte überhaupt keinen Kontakt. Zu niemandem. Das war zwar ungewöhnlich, aber was sollte er machen? Es gab eigenbrötlerische Menschen, das war kein Verbrechen. Und es ging ihn nichts an. Das und nicht mehr konnte er ihr mitteilen. An diesem Morgen fuhr er auch nur wieder in die Straße, weil er einen weiteren Tag abrechnen konnte. Aus dem Auftrag noch so viel Geld heraus schlagen wie möglich. Er hatte schon untreue Ehemänner überwacht, die jeden Abend zu ihrer Geliebten fuhren. Da konnte man etwas berichten. Man konnte Fotos präsentieren. Fotos brachten Geld. Wenn die Frauen ihre Männer in flagranti erwischt fanden, dann waren sie unter Schock und zahlten mehr. Aber hier? Hesse war kein untreuer Ehemann. Aber er wollte noch einen Tag investieren. Er parkte den Wagen heute eine Straße weiter und ging zu Fuß.
Er schlenderte durch die Nebenstraße. Dabei fiel sein Blick in eine kleine, grasbewachsene Gasse, die sich zwischen den Grundstücken befand. Von hier gelangte man in die Gärten. Überall gab es Gartentürchen. Er ging in die Gasse hinein. Nach ein paar Metern fand er sich auf der rückwärtigen Seite von Hells Grundstück. Das Tor war mit Efeu bewachsen. Doch es war in der letzten Zeit geöffnet worden. Auf dem Boden lagen abgerissene Triebe. Zeiger fluchte vor sich hin. Womöglich hatte er sich hier unbemerkt abgesetzt. Du Trottel dachte er. So ein Anfängerfehler in der Sondierung der Umgebung des Observierten. Jetzt konnte er seiner Klientin nicht verkaufen, dass er ihren Mann die ganze Zeit observiert hatte. Er ging zurück zum Golf, startete gereizt den Motor und fuhr in die Nebenstraße. Dort parkte er den Golf so, dass er die kleine Gasse einsehen konnte. Er pokerte. Wenn Hesse jetzt ganz normal vorne das Haus verließ, würde er das nicht bemerken. Egal dachte er. Irgendetwas klingelte in seinem detektivischen Hinterkopf.
Oliver Hell saß auf einem Krankenbett. Neben ihm auf dem Bett lagen seine blutverschmierten Sachen. Er trug nur seine Unterhose und seine Socken. Gegen das Weiß der Krankenhausbettwäsche wirkte die rotgetränkte Kleidung deplatziert.
Hell war gewaschen. Man hatte Dempf bei dessen Einlieferung noch behandeln wollen. Daher untersuchte man sein Blut. Man konnte Hell beruhigen. Dempf hatte keine Krankheiten. Hell starrte aus dem Fenster. In welche Richtung würden sich die Waagschalen bewegen? Dieser Mann tötete mit einer unbarmherzigen Einfachheit. Und er narrte die Polizei ein ums andere Mal. Ihm fiel Maier ein. Womöglich hatte er sich wieder bei der Zeitung gemeldet. Polizisten und Journalisten sollten immer ein offenes Ohr haben für unterschwellige Bedeutungen und Motive, die nicht offenkundig waren. Sie sollten erfolgreich Fragen stellen können und sie sollten gut zuhören können. Doch in diesem Fall war alles anders. Die üblichen Maßstäbe ließen sich hier nicht ansetzen. Er begeht seine Morde nicht wahllos, er hat einen Plan. Doch der war nicht zu
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