Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
Revers entlang, bis sie an ihrem Kragen angelangt war. Als Wissenschaftlerin war sie es gewöhnt, alles auch wissenschaftlich erklären zu können. Doch manchmal setzte ihr das Leben Grenzen. Gerade die Forschung über die biochemischen Auswirkungen von Drogen auf das menschliche Gehirn ließen keine endgültigen Schlüsse zu, da sich die Drogen ständig veränderten. Mit jeder neuen Mischung aus den Drogenküchen steckte die Forschung wieder in den Kinderschuhen. Die Kriminalwissenschaft war immer einen Schritt hintendran. Daher war es für sie auch schwierig, dem Kommissar wirklich Hoffnung zu machen oder sie zu zerstören.
„Wollen Sie uns unterstützen bei der Pressekonferenz?“, fragte Hell mitten in ihren Gedanken hinein.
„Ja, sicher.“
„Danke. Das ist gewiss hilfreich, wenn die Pressefritzen uns wieder zusetzen.“
„Ich habe gleich noch die ehrenvolle Aufgabe unseren Staatsanwalt zu überzeugen, dass wir Dr. Culmann verdächtigen zur Zoophilenszene zu gehören und wir ihm auf den Zahn fühlen wollen. Ich sehe ihn schon, wie er die Arme über dem Kopf zusammenschlägt und ‚mein Gott, Hell‘ sagt.“ Er machte es vor.
Doktor Leck lachte. „Wenn es um Politiker geht, kneifen immer alle den Schwanz ein.“
„Sind auch nur Menschen“, sagte Hell.
„Machtmenschen. Das macht sie besonders und anders. Schwieriger. Darf ich Sie begleiten?“
Hell war überrascht. „Sehr gern“, sagte er ein wenig erleichtert.
Das Gespräch mit Staatsanwalt Gauernack dauerte genau eine Viertelstunde. Dann hatte Doktor Leck ihn überzeugt, eine sehr vorsichtige Überprüfung der Person Culmann zu befürworten. Schließlich hatte man seinen Namen bei der Untersuchung eines Kapitalverbrechens angetroffen und er sollte darüber informiert werden. Man ging natürlich davon aus, dass es sich hier sicher um eine Verwechslung handeln müsse oder um ein Missverständnis. Daher werde alles unter dem größten Stillschweigen behandelt. Gauernack wollte selber die nötigen Schritte einleiten.
Hell war heilfroh. Ein Problem hatte sich mit Hilfe von Doktor Leck in Wohlgefallen aufgelöst. Jetzt wartete er auf eine Antwort auf seine SMS. Die kam nicht. Er fuhr zum Haus, in dem sein Sohn wohnte. Keiner öffnete ihm. Drei Stunden später informierte er die Kollegen, dass sein Sohn vermisst würde. Weiter nichts. Es ging nun seinen Gang. Auch diese Nacht verbrachte er wieder in seinem Büro. Er nahm sich für den kommenden Tag vor, eine Reinigungsfirma mit der Reinigung seines Schlafzimmers zu betrauen. Es war ein Tatort. Aber erst wenn er es als Tatort bekannt gab. Das tat er nicht.
*
Als Dimitri Zeiger schon früh zum Haus seiner Zielperson fuhr, stand der BMW Hesses vor der Türe. Daher stellte er sich mit seinem Golf wieder so auf, dass er den Hinterausgang im Auge hatte. Er hatte am Vorabend der Frau Hesses den vorläufigen Bericht abgegeben. Ohne zu lügen. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass Hesse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Er war sich sicher, dass er die Observierung mit dem gestrigen Tag beendet haben würde. Doch Hesses Frau wollte noch einen Tag dranhängen. Wenn er wirklich eine Freundin hätte, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er ausgerechnet heute dorthin führe? Aber sie war seine Klientin und sie wollte es so. Warum hätte er ihr widersprechen sollen? Also hatte er das abgenickt, ohne weiter zu fragen. Er nahm einen Schluck Kaffee aus dem metallenen Kaffeebecher. Er wollte auch nicht wieder zurück in sein enges, kleines Büro um dort auf den nächsten Klienten zu warten. So ein Büro wie in einem Krimi von Dashiell Hammett. Es gab zurzeit keinen weiteren Fall. Also auch kein Geld. Er legte den rechten Arm auf den Schaltknüppel. Unter seinem T-Shirt-Ärmel schaute eine Tätowierung hervor. Ein japanisches Zeichen. Er schob sich seine Sonnenbrille ins Haar und beobachtete weiter die kleine, verwilderte Gasse. Nichts tut sich. Dann schob sich eine kleine, zierliche Gestalt ins Bild. Er fuhr zusammen. Nein, das war nicht Hesse, es war eine Frau. Sie bog am Ende der Gasse rechts ab und kam an ihm auf der anderen Straßenseite vorbei.
Die Zeit verging. Eine Stunde. Zwei Stunden. Er hörte leise Musik aus Kopfhörern. Über sein I-Phone. Irgendwann schlief er ein. Er fuhr zusammen, als er wieder aufwachte. Aus der Playlist erfuhr er, dass er eine halbe Stunde geschlafen haben musste. Mit einem Mal war er wieder wach. Auf der Straße war
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