Oliver Hell - Das zweite Kreuz
ein Auge zu und verließ das Büro.
*
Dunkelheit. Die Minuten vergingen, wurden zu Stunden. Der Mann war nicht wieder aufgetaucht. Wie lange war es her? Walters hatte keine Ahnung. Der Unbekannte war in den Raum gestürmt. Das Licht einer Taschenlampe zuckte durch den Raum. Der Mann hatte ihn auf einen Stuhl gezerrt. Schmerzhaft war ihm ein grelles Licht in die Augen gefahren. Blitzlichtgewitter. Sein verzerrtes Gesicht wurde auf Negativ gebannt. Direkt darauf verband der Mann ihm die Augen. Erneut zerrte er an ihm herum, warf ihn auf den Boden. Heinz-Theo Walters konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er nicht alleine in diesem Verlies war. Der Mann aus dem Wald krempelte ihm seine Hosenbeine hoch.
Wieder das Blitzlicht. Mehrmals. Was auch immer der Mann fotografierte, das Geräusch kannte Walters. Es war eine Spiegelreflexkamera. Keine digitale Kamera. Nein. Der Verschluss klang so, wie er es von seinen Kameras gewohnt war. Es war der Klang einer analogen Kamera. Zwischen den Aufnahmen surrte ein Motor. Eine Profikamera.
Sekunden später wurde er unsanft an den Beinen gezogen. Etwas klickte und er spürte einen Druck an seinem Fußgelenk. Dann ein metallenes Geräusch. Wieder das Klicken. Er bewegte sein Bein. Keine zehn Zentimeter weit.
Gefesselt. Er war an etwas aus Metall gefesselt worden. Nur kurz schien ein Lichtstrahl in den Raum, als der Mann ihn verließ. Keiner der drei Menschen, die an verschiedenen Ecken in dem Keller gefesselt waren, sah den Lichtschein.
War er alleine hier? Er war sicher, dass es nicht so war. Er vernahm Stöhnen, leise klirrende Geräusche. Klänge, wie auch er sie produzierte. Wenn er es richtig orten konnte, dann lag jemand beinahe neben ihm. Zwei oder drei Meter entfernt. Und eine weitere Person lag ihm gegenüber, sehr wahrscheinlich dort, wo die Türe sich befand. Er lauschte. Wer waren die anderen Opfer? Wer war der Mann, der ihn gefangen genommen hatte? Er rief sich immer wieder sein Gesicht vor Augen. Wer war der Kerl? Walters hatte nicht den Schimmer einer Ahnung.
Und über allem thronte die Königsfrage: Warum war er hier? Er erwähnte Rosalie. Tauchte diese Geschichte wie ein übler Schatten aus der Vergangenheit auf? Die Geschehnisse von vor zwanzig Jahren hatte er längst verdrängt. Vergessen. Doch gab es jemanden, der sich daran erinnerte.
Hatte er nicht früher alle Freunde vor diesem Weib gewarnt? Doch keiner wollte auf ihn hören. Schließlich war auch er in ihre Fänge geraten.
Wie mag es jetzt Eva-Maria gehen, fragte er sich und der Gedanke an seine Frau war ehrlich gemeint. Seitdem sie unter ärztlicher Betreuung stand, ging es ihr zwar besser. Doch ihr Allgemeinzustand war nicht der Beste. Nachdem sie die Diagnose gestellt bekam, hatte sie einen Zusammenbruch erlitten. Multiple Sklerose. Weder er, noch seine Frau, wollten es glauben. Doch die Bestätigung kam nach der Entnahme der Knochenmarksflüssigkeit. Sie hatte MS in einem frühen Stadium.
Heinz-Theo Walters machte sich Vorwürfe. Er, als Arzt hätte es erkennen müssen. Erst sein Kollege im St.-Josephs-Klinikum in Troisdorf hatte ihn davon abbringen können. Es gibt so viele Erscheinungsbilder der Krankheit, hatte er gesagt, da kann man nicht alle kennen.
Seine Entführung würde vielleicht einen neuen Schub bei seiner Frau auslösen. Hoffentlich nicht dachte er. Eva-Maria war das Beste, was ihm in seinem Leben passiert war. Eine liebevolle Partnerin, eine verständnisvolle Freundin. Rosalie dagegen war nur nackte Begierde des Moments. Sonst nichts.
Walters versuchte, sich an Rosalie zu erinnern. An ihr Gesicht. Ihrem Körper. Ihren Duft. Nichts war mehr präsent. Alles war im Dunst der Zeit vergangen.
Plötzlich durchfuhr ihn ein Blitz.
Was war, wenn eine der Personen hier im Raum Rosalie war? Dieser Gedanke versetzte ihn in eine solche Krisenstimmung, dass sein Magen sich meldete.
Nein, das durfte nicht sein! Wenn die Polizei nach ihm suchte, wo von auszugehen war, immerhin war er einer der bekanntesten Ärzte der Region, dann würde alles ans Tageslicht kommen, was zwanzig Jahre in der Versenkung geschlummert hatte. Fand man ihn zusammen mit Rosalie hier in diesem Keller, würde die Fragerei losgehen.
Dann bekommst du noch deine Strafe, Heinz-Theo. Spät. Aber Du bekommst sie.
Wie jemand, der um Gnade winselt, fing er trotz des Knebels an einen Namen zu brummen: Rosalie! Rosalie! Er versuchte, in den Stoff zu beißen, damit das Wort besser zu verstehen war.
Rosalie!
*
Für
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