Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Ihnen. Aber das gehört mir nicht“, sagte Walters. Er wollte sich schon abwenden.
„ Nein, da bin ich mir aber ganz sicher, dass es ihnen gehört. Wollen Sie es sich nicht einmal ansehen?“ Noch immer hielt er ihm die Plastiktüte hin.
Walters sah sich den Mann genau an. Seine Joggingschuhe waren sauber. Keine Spritzer. Kein Dreck. Ebenso war die Jogginghose sauber. Er war nicht weit gelaufen. Vermutlich gar nicht.
„ Junger Mann, ich hasse es unfreundlich zu sein, aber ich habe nichts verloren. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich habe keine Zeit für solche Scherze.“
„ Kein Scherz. Ich meine es ernst, Herr Doktor Walters.“ Sein Ton hatte eine gespielte Freundlichkeit. Etwas Bedrohliches schwang darin mit.
Walters bereute es, sein Handy beim Joggen immer im Auto zu lassen. Er liebte es, diese Zeit ohne störende Anrufe zu genießen. Spätestens jetzt hätte er die Polizei gerufen.
Er bluffte. „Wenn Sie mich jetzt nicht in Ruhe lassen, hole ich die Polizei“, sagte er und griff sich an die Tasche der Jogginghose.
„ Nein. Kein Handy, keine Polizei. Ihr Telefon liegt im Panamera. Schade.“ Er drehte die Handflächen nach außen.
Auch das Lächeln des Mannes bekam etwas Bedrohliches. Walters packte die Panik. Er sah sich um. Sie waren alleine im Wald. Auf dem Parkplatz standen zwei Fahrzeuge. Sein eigener Porsche und noch ein weiteres. Ein Kombi.
Noch immer war der kleine Plastikbeutel in Greifnähe.
Walters bekam einen roten Kopf. Er wurde ärgerlich. „Hören Sie mal, Sie Spinner. Nehmen Sie ihren Beutel und gehen. Es könnte sonst richtig peinlich für Sie werden. Muss es aber nicht.“
„ Nein, da gehe ich nicht von aus. Da ist noch etwas, was ich von Ihnen weiß. Und, ja, ich vergaß ja etwas völlig.“
Er machte eine entschuldigende Geste. „Ich soll Ihnen schöne Grüße von Fräulein Rosalie ausrichten“, sagte er.
Walters riss die Augen auf. „Was“, stammelte er. Perplex. Für einen Moment verließ ihn seine Contenance.
„ Sehen Sie, Herr Doktor. Auch Menschen wie Sie kann man aus der Fassung bringen. Man muss nur die richtigen Knöpfe drücken.“
Die großkotzige Art des Mannes nervte ihn mehr und mehr. Walters beschloss, es zu beenden.
Dann passierte plötzlich alles sehr überstürzt. Heinz-Theo Walters schnellte mit einem Sprung nach vorne. Er wollte dem Mann seine Faust ins Gesicht rammen. Doch der war längst darauf gefasst. Er drehte sich flink zur Seite. Geschickt zog er einen Gegenstand aus der Tasche. Kurz drauf sackte Walters neben ihm zusammen. Auf seinem Gesicht hatte er noch einen Ausdruck von Überraschung. Kein Schmerz. Der Elektroschocker hatte seinen Dienst getan.
Drei Minuten später verließ der Kombi mit langsamem Tempo den Parkplatz.
*
Es gab eine Zeit, in der sein Familienleben stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nun hatte er die Hoffnung, dass es besser würde. So etwas wie Familienleben stand zwar nicht im Raum. Dennoch. Am Wochenende kam Franziska nach Bonn. Noch hatten sie keine Pläne geschmiedet. Sie wollten alles auf sich zukommen lassen.
Christoph hatte sein altes Zimmer bezogen. Im Keller. Mit Zugang zum Garten. Früher hatte er das Zimmer geliebt. Als Kind. Später gewährte es ihm zusätzliche Freiheiten. Er hatte sich oft nachts aus dem Haus geschlichen, um sich mit seinen Freunden zu treffen. Drogen waren der Grund für seine Ausflüge. Hell betete, dass es diesmal nicht wieder so weit kommen würde. Er wünschte sich eine Periode in seinem Leben, in der sie sich nicht täglich anschreien würden. Oliver Hell liebte seinen Sohn.
Die Psychologin Franziska Leck hatte neues Leben in sein Dasein gebracht. Dafür war er ihr mehr als dankbar. Sein Leben gewann an Farbe.
Deshalb gefiel ihm der Fall überhaupt nicht. Wenn er Pech hatte, würde er das Wochenende durcharbeiten müssen. Seine Laune besserte sich daher auch nicht, als er den Anruf der Bereitschaftspolizei erhielt. Im Gegenteil. Sie wurde schlechter.
Folgendes hatte man ihm mitgeteilt. Im Kottenforst war der Diebstahl von allen vier Rädern an einem Porsche Panamera gemeldet worden. Die Polizei rief bei dem Halter des Fahrzeuges an. Dort ging aber niemand ans Telefon. Die Beamten versuchten es immer wieder, bis sich schließlich eine Frau meldete.
Es stellte sich heraus, dass der Mann der Frau, ein bekannter Arzt mit seinem Porsche zum Joggen gefahren war. Normalerweise hätte er schon lange wieder daheim sein sollen, da er immer nur für eine Stunde dort
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