Oliver Hell - Das zweite Kreuz
vielleicht verrät, wer ihn in die Garage gestellt hat.“
Klauk lehnte sich zurück. „Du hast mit dem Kraftfahrtbundesamt gesprochen, oder?“
„ Ja“, antwortete Wendt und machte es sich auf seinem Bürostuhl gemütlich.
„ Die haben dir bestätigt, dass der Mercedes fünfunddreißig Jahre nicht aufgetaucht ist. Das ist korrekt?“
„ Ja, haben sie“, sagte Wendt leicht gereizt, weil er nicht wusste, warum Klauk so genau nachfragte. Die folgende Pause war so lang, dass Wendt beinahe die Geduld verlor. „Was?“
„ Wenn er woanders angemeldet war, dann konnte er vielleicht nicht hier in Deutschland angemeldet sein“, sagte Klauk und tippte mit seinem Stift auf den Ordner, der vor ihm lag.
„ Du meinst …?“
„ Ja, wenn der Wagen unbemerkt ins Ausland geschafft wurde, dann konnte er auch wieder unbemerkt zurückkommen.“
„ Du denkst, der Mercedes war heiß? Wieso auch immer. Warum lässt jemand einen Mercedes verschwinden und sorgt nicht dafür, dass er wirklich verschwindet. Das passt nicht“, sagte Wendt grübelnd.
„ Es passt auch überhaupt nicht zu einem Arzt wie Doktor Walters. Der ist in Bonn so bekannt wie Adenauer. Ebenso integer. Aber wenn es sein Auto war, warum steht es jetzt in der Garage von Rosalie Lindemann? Nachdem er so lange verschwunden war.“
Wendts Kopf war klar und bereit zum Widerstand. Es wollte ihm nicht einleuchten, dass Doktor Heinz-Theo Walters in irgendeiner Form etwas anderes als ein Entführungsopfer sein konnte. Dazu war er ihm viel zu sympathisch. Er sah Klauk weiter skeptisch an.
Doch wenn ein Korn des Zweifels einmal gesät war, dann war sein Keimen nicht mehr aufzuhalten.
„ Wir müssen davon ausgehen, dass der Doktor ebenso wie die anderen beiden, Dreck am Stecken hat“, sagte Klauk und goss damit noch Wasser auf den Keim.
Das Telefon bimmelte. Wendt nahm ab. Es war Hell. Schweigend hörte er sich die Darlegungen seines Chefs an.
„ Jetzt haben wir den Salat“, sagte er und schleuderte das Mobilteil über den Tisch, dass es bei Klauk zu liegen kam. Klauk sah ihn irgendwie hilflos an.
„ Eva-Maria Walters, die Frau von Heinz-Theo Walters, hat einen Herzinfarkt erlitten. Sie ist auf dem Weg in die Klinik verstorben. Es war nichts mehr zu machen“, sagte Wendt, dem die Worte beinahe im Hals stecken blieben.
Erst war es mucksmäuschenstill. Dann stammelte Klauk: „Das tut mir leid“, und nach einer weiteren Pause sagte er: „Aber jetzt haben wir gar niemanden, der uns bei der Suche nach Doktor Walters behilflich sein kann.“
„ Soviel ich weiß, hat er Kinder.“
„ Die aber schon genauso alt sind wie wir“, warf Klauk ein, „Ob sich da noch einer an einen Mercedes erinnert, den der Vater mal gefahren hat?“
Wendt starrte ihn an. „Ich weiß noch, mein Vater hatte einen Ford Granada in den Siebzigern. Ein riesiges Schiff von einem Auto. Für die damalige Zeit.“
Er erinnerte sich, wie er oft während der Fahrt auf der heruntergeklappten Armlehne in der Mitte der Rückbank gesessen hatte, damit er mehr von der Straße sehen konnte. Früher gab es keine Sicherheitsgurte im Fond und erst recht noch keine Kindersitze. Sein Vater hatte immer geschimpft, wenn er das tat. Er solle ihm nicht die Sicht versperren, sagte er.
„ Mein Vater hatte ebenfalls einen Mercedes“, sagte Klauk. Es war aber bereits das Nachfolgemodell des Strich/Acht. Der W 123. Nüchterner als der barocke Strich/Acht und auch anfangs nicht so beliebt. Dennoch wurden von dem Modell bis neunzehnhundertsiebenundachtzig beinahe drei Millionen PKW hergestellt.
Klauk erinnerte sich nicht gerne an Fahrten mit seinen Eltern. Daher beließ er es auch bei dem einen Satz.
„ Wir müssen die Kinder ausfindig machen und befragen“, sagte Wendt und riss sich aus seinen Gedanken. Schon tippte er den Namen des Doktors in die Tastatur.
„ Hier haben wir es doch. Er hat zwei Kinder. Einen Sohn und eine Tochter. Emilie und Sven-Ferdinand. Moment“, sagte er und tippte weiter, „Beide wohnen in Bonn. Na, wenn das nichts ist.“
„ Wer nennt seinen Sohn Sven-Ferdinand? Wer tut einem Kind das an?“, fragte Klauk.
Er sah herüber zu Wendt, doch der zuckte bloß mit den Achseln. „Es gibt schlimmere Strafen.“
Sie hörten Schritte auf dem Flur. Einen Moment später öffnete Hell die Türe zum Büro seiner Mitarbeiter. „Meine Herren. Lagebesprechung. Jetzt!“
Sein Tonfall und seine Miene ließen auf keine gute Laune schließen.
*
Auf halbem Weg zum Café Göttlich
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