Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oliver Hell - Das zweite Kreuz

Oliver Hell - Das zweite Kreuz

Titel: Oliver Hell - Das zweite Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wagner
Vom Netzwerk:
aussah, wie ein verschrumpeltes, zu lange gebackenes Hähnchen, sein Geheimnis entreißen können? Auf dem Utensilienwagen lag noch die Spiegelreflex, mit der die Doktorin die Mumie aus sämtlichen Blickwinkeln fotografiert hatte. Sollte sich doch noch wider Erwarten ein Spezialist für das Einbalsamieren von Toten finden, so konnte er vielleicht an der Art und Weise, wie der Tote umwickelt wurde, eine Handschrift ablesen.
    „ Ich weiß nicht, ob ich jetzt nur eine sehr gute Arbeit zerstöre oder ob es Sinn macht, den armen Kerl seiner Verpackung zu berauben“, flachste sie.
    Das Skalpell trennte gerade die Binden dort durch, wo sein linker Arm war. Die Obersten fielen auseinander wie Blütenblätter von einer verwelkten Blüte; die Schicht, die direkt auf der Haut lag, blieb haften. Sie nahm eine Pinzette zur Hand und löste vorsichtig auch diese Schicht ab.
     

    „ Ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, ob man bei einer Leiche in diesem Stadium noch Injektionsspuren nachweisen kann. Ich habe schon von Untersuchungen an ägyptischen Leichen gehört, wo man Gifte nachweisen konnte. Aber dort fand man auch selten eine Einstichstelle. Das Gift hatte sich bei den Mumien im Gewebe eingelagert. Früher wurde ja munter drauf los vergiftet, aber heutzutage ist das eher selten geworden.“
    „ Könnte da vielleicht ein Archäologe hilfreich sein? Oder ein Giftspezialist?“, fragte Hell ins Blaue hinein. Er kniete sich neben den Sektionstisch. Das blanke, sterile Metall stand in einem krassen Gegensatz zu der ledernen Haut des Armes, den Beisiegel gerade freigelegt hatte. Der Arm wirkte so beinahe lebendig. Ein leichter Schauer kroch ihm über den Rücken.
    „ Bei einem Verdacht auf Giftmord sollte auch immer ein Toxikologe anwesend sein. Doch an einem Freitagnachmittag ist dort die Auswahl doch recht beschränkt“, wand sie ein.
    Hell schaute aus der Hocke zu ihr hinauf. „Montag?“, fragte er und es fiel ihm ein, dass ja in wenigen Stunden Franziska in seinen Armen liegen würde. Wochenende. Ein warmes, wonniges Gefühl machte sich breit. Da war kein Platz mehr für Mumien und frustrierte Staatsanwälte.
     

    „ Ich werde den Mann, so gut es geht, von den Binden befreien, dann lege ich ihn in die Kühlung bis Montag. Und dann …“, sie machte eine kleine Pause, „Dann … ist … Wochenende!“ Beinahe jubilierte ihre Stimme. Ihre Augen funkelten. Hell erriet, dass es ein besonderes Ereignis an diesem Wochenende geben musste, was die Doktorin so in Aufruhr versetzte. Aber er fragte nicht weiter nach. Sollte sie es ihm verraten, so war es gut. Wenn nicht, dann war es auch gut. Sie tat es nicht.
    Auf dem Weg in sein Büro bekam er einen Anruf von Heike Böhm. Sie teilte ihm mit, dass die erste Übersicht der Kontoauszüge von Olbrichs und Lindemann nichts ergeben hatte. Sie würde aber weiter am Ball bleiben, versprach sie ihm hoch und heilig. Hell wünschte ihr ein schönes Wochenende, was sie mit einem hämischen Lachen und dem Hinweis beantwortete, dass sie Bereitschaft habe.
    *
    Die Menschen im Keller fuhren zusammen. Angstvoll blickten sie sich um. Sinnlos. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, woher plötzlich die Musik kam. 1812. Tschaikowski.
    Sie kam von allen Seiten.
    „ Was ist das jetzt für eine Teufelei?“, fragte Walters, dem Olbrichs kurz zuvor mit einem für ihn schmerzhaften Ruck das Klebeband vom Mund gezogen hatte. Auch er sah sich um. Walters spannte die Backenmuskulatur an. Er räusperte sich.
    Mit einem Mal flog eine Türe auf, ein flüchtiger Lichtstrahl fiel in den Keller. Die Ouvertüre 1812 steuerte ihrem Höhepunkt entgegen. Kanonen wurden abgefeuert, Glocken läuteten. Marschmusik.
    Olbrichs reagiert zuerst. Als er versuchte aufzustehen, sah er eine Gestalt auf sich zukommen. Wie ein Schatten. Er rappelte sich hoch, konnte aber mit den gefesselten Füßen nicht stehen. Mit ein, zwei Hüpfern erreichte er einen aufrechten Balken, an dem er sich festhalten konnte.
    Doch schon war der Schatten bei ihm. Olbrichs besaß als Handwerker eine ziemliche Körperkraft. Obwohl er bereits über sechzig Jahre alt war, konnte er es mit manchem Jüngeren aufnehmen. Mit den vier noch heilen Fingern hielt er sich an dem Holzbalken fest und schlug mit der Rechten so fest zu, wie er konnte. Er zielte auf das Gesicht seines Widersachers, doch zu seiner Verwunderung traf er dort kein Fleisch oder Knochen. Nein. Seine Faust krachte auf etwas Metallisches. Er schrie auf. Der Kerl trägt eine Maske

Weitere Kostenlose Bücher