Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
fragte sie. Das Gespräch durfte nicht bei der Angst des Sohnes um seinen Vater hängen bleiben. Jetzt hatte sie einen guten Ansatz. Den wollte sie unbedingt nutzen.
„ Mein Vater hat mir von seinem Beruf erzählt. Von seinem Leben. Er hat mir erklärt, dass er immer alles nur getan hat, um die Familie zusammenzuhalten. Das habe ich bisher nie so gesehen. Naja, wenn ich ehrlich bin, wollte ich es nicht so sehen. Es war viel einfacher sauer zu sein, verstehen Sie?“
„ Ja, ich verstehe. Das musst Du respektieren. Es ist sein Leben, nicht deins. Und als Vater sieht man Vieles anders. Man muss mit Weitblick agieren. Als Kind kommt einem da Vieles manchmal unverständlich vor.“
Christoph blickte an ihr vorbei. Dr. Leck wusste, ihn interessierte im Moment ein anderes Thema.
Sie begannen beide, gleichzeitig zu sprechen. Beiden lachten.
„ Du zuerst“, sagte sie.
„ Kennen Sie sich auch mit Kriminalpsychologie aus? Was erwartet meinen Vater dort? Was werden die mit ihm machen?“
Dr. Leck wusste, dass sie sich nun auf das Gebiet der reinen Spekulation bewegten. Sie sollte alles daran setzen, den Ju ngen zu beruhigen.
„ Christoph, sie werden deinem Vater nichts tun. Ein toter Polizist ist für sie ebenfalls das Todesurteil. Das traut sich niemand.“
Sie wusste ganz genau, dass sie damit die Unwahrheit sagte. Es gab unzä hlige gegenteilige Belege. Der Respekt vor der Polizei war schon lange geschwunden. International tätige Banden hatten auch die teilweise menschenverachtenden Methoden aus ihren Ländern mitgebracht.
Christoph schaute sie skeptisch an. „ Sind Sie sich da sicher?“
„ Ich habe mit deinem Vater gesprochen, als er mich bat herzukommen. Er sagte mir, dass sie einen konkreten Verdacht hätten. Doch wären ihnen noch die Hände gebunden. Wenn sie ihm jetzt etwas antun, dann wäre die Grenze überschritten. Soweit würden die nicht gehen, sagte dein Vater.“
Christoph zuckte die Achseln. Man sah ihm an, dass er nicht restlos ü berzeugt war. Dr. Leck versuchte, das Gespräch wieder in eine andere Richtung zu lenken.
„ Wolltest Du deinen Vater wirklich umbringen, im letzten Sommer?“
Es entstand eine Pause. Einen Augenblick lang, versuchte Christoph seine Gedanken zu ordnen.
„ Einen Augenblick bitte“, entschuldigte er sich bei Dr. Leck. Er ging in die Küche und kam mit zwei geöffneten Flaschen Cola wieder zurück.
„ Nein, das wollte ich nicht. Ich muss zugeben, als ich dort in seinem Schlafzimmer stand, war die Verlockung groß, die ganze Scheißhütte abzufackeln. Aber meinem Vater hätte ich kein Haar gekrümmt“, sagte er daraufhin sehr schnell. Christophs Gedanken waren bereit sich frei zu entfalten. Dr. Leck hatte ihr Ziel erreicht.
„ Sicher?“
„ Ja, dieses Haus hat so viel Negatives in sich. Eine schlechte Aura. Wissen Sie?“
„ Ja, ich glaube, ich weiß, was Du meinst. Willst Du mir mehr davon erzählen?“
Christoph nickte, und setzte die Flasche an die Lippen.
*
Anders als bei allen anderen schwerwiegenden Vorfä llen, die sich mit Beamten der Kriminalpolizei befassten, war dieser Vorfall etwas Besonderes. Normalerweise hätte das Präsidium einem Bienenschwarm gleichen müssen. Es wäre eine Sonderkommission ins Leben gerufen worden, die sich mit diesem speziellen Fall befasst hätte.
Doch diesmal war alles anders.
Es gab keine Sonderkommission. Die Presse wurde nicht über die Entführung informiert, besser gesagt, auf Nachfrage der Journalisten bezüglich der Sperrung der Kölnstraße, wurde geschwiegen. Auch den Ärzten der Klinik wurde es untersagt, der Presse Auskünfte zu geben. Das Präsidium glich eher einem Totenhaus. Es herrschte Stille. Mehr noch als sonst.
Der Schock schien zu groß . Es war aber nicht der Schock. Nicht nur. Es war die Ohnmacht, die sich keiner eingestehen wollte. Die Mühlräder des Gesetzes behinderten sich gegenseitig. Man ermittelte in zwei Mordfällen, es gab eine Entführung eines Kriminalbeamten. Und alle hielten die Füße still. Jan-Phillip Wendt saß in seinem Büro. Vor ihm auf dem Tisch lagen der Schlüssel sowie die Fahrzeugpapiere für Meinholds Insignia. Der war ab sofort Rosins Insignia. Klauk war unterwegs im Hause, Rosin war schon auf dem Heimweg. Es war weit nach siebzehn Uhr.
Lessenich und seine Kollegen hatten sie in Ruhe gelassen. Man hatte aus dem benachbarten Besprechungszimmer nur die laute Stimme Lessenichs gehört. Der hatte seine Leute nach alter Manier zusammengeschissen. Er begriff ein
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