Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
Herrschaften, Frau Oberstaatsanwältin, Staatsanwalt Überthür“, sagte Hell höflich.
„ Guten Morgen, Kommissar Hell“, sagte Brigitta Hansen, „Setzen Sie sich bitte.“
Überthür sagte nichts, er schaute weiter aus dem Fenster. Mit auf dem Rücken verschränkten Armen.
Hell setzte sich ihr gegenüber. Die Stimmung war frostig, wie in einem Eiskeller. Nicht alleine der giftige Überthür sorgte dafür, auch das Gesicht der leitenden Staatsanwältin war wie versteinert. Hell hatte das Gefühl, an einem Graben zu stehen, und ein Schritt weiter würde ihn in die Tiefe reißen.
„ Kommissar Hell, wir kennen uns noch nicht sehr lange. Unser Kollege Gauernack, Gott habe ihn selig, hat Sie mir aber als einen sehr fähigen Beamten und eifrigen Ermittler beschrieben. Das deckt sich soweit mit dem Eindruck, den ich mir bisher von ihrer Arbeite machen konnte. Ich frage mich allerdings ernsthaft, wie sich diese positiven Eigenschaften mit dieser Aufnahme hier decken“, sagte sie und hielt Hell eine Fotografie hin.
Er erkannte zuerst nicht, was darauf zu sehen war. Daher stand er auf und griff nach dem Foto. Es war sechs Minuten nach neun Uhr, als ihm kalter Schweiß über den Rücken lief. Auf diesem Foto war er zu sehen. An seinem Schreibtisch sitzend, mit geschlossenen Augen. Er schlief offensichtlich.
„ Wer hat dieses Foto gemacht?“, fragte er.
„ Das war ich“, antwortete Überthür und wippte einmal im Stand auf und ab.
Hell brauste auf. „Darf ich Sie fragen, ob Sie nichts Besseres zu tun haben, als durch die Gegend zu laufen und Menschen zu fotografieren?“
Überthür fuhr ihm in die Parade. Er kam einen Schritt auf Hell zu, der noch immer mit dem Foto in der Hand neben dem Sessel stand.
„ Darf ich Sie fragen, was Sie dazu bringt, während der Arbeit zu schlafen, wo wir drei Mordfälle zu klären haben?“
„ Das geht Sie nichts an.“ Hell wusste, dass diese Äußerung eine äußerst schwache Verteidigung war.
„ Oh, da irren Sie sich, Herr Kommissar. Das geht mich sehr wohl etwas an.“
Hansen mischt sich in das Streitgespräch ein. „Meine Herren, wir wollen doch sachlich bleiben. Herr Kollege, es hilft uns nicht, wenn wir uns gegenseitig angiften.“
Hell zog sich aus der Situation, indem er sich wieder auf den Sessel setzte. Überthür blieb noch drei Sekunden neben ihm stehen und murmelte dann, „Verzeihung.“ Er ging zurück zu seinem Platz am Fenster. Die Distanz tat Hell spürbar gut.
Hansen lehnte sich auf den Schreibtisch. Sie zog die Augenbrauen hoch und betrachtete ihn mit einem ruhigen Blick. „Herr Kommissar, was ist denn nun dran an dem Foto hier?“, fragte sie und tippte kurz mit dem Finger auf das Foto, was wieder vor ihr auf dem Tisch lag.
Hell überlegte kurz nach einer passenden Formulierung. „Ich habe kurz die Augen zugemacht, weil ich Kopfschmerzen hatte …“, fing er an.
Überthür unterbrach ihn wieder, „Och, Sie hatten Kopfschmerzen? Dann nimmt man eine Tablette und arbeitet weiter. Ich hätte Sie aus den Büro tragen können, so weit weg waren Sie.“
Hell überlegte kurz, ob er die Wahrheit sagen konnte. Er hatte höchstens zehn, fünfzehn Minuten geschlafen.
„ Herr Kollege, bitte“, ermahnte Hansen Überthür. Hell dachte daran, was Franziska gesagt hatte. Er solle sich Überthür gegenüber cool verhalten. Das hatte bislang überhaupt nicht geklappt. Der hatte es geschafft, ihn sofort aus der Reserve zu locken.
Er überlegte, bevor er antwortete. „Wenn wir einen Mörder jagen, dann müssen wir uns immer auf dessen Gedankenwelt einlassen. Wir versuchen schließlich, so zu denken, wie ein Mörder. Das hilft, ihn zu überführen. Meistens jedenfalls. Und wenn man sich oft in solche kranken Seelen vertieft, dann kann man als gesunder Mensch auch schon einmal Kopfschmerzen bekommen. Und um diese Kopfschmerzen wieder loszuwerden, hilft ein kurzes Schläfchen. So war es auch gestern. Ein reinigendes Schläfchen, sonst nichts.“
„ Hören Sie, er gibt es auch noch zu, dass es zu seiner üblichen Arbeitsweise gehört“, erwiderte Überthür sofort grätzig.
„ Wieso sollte ich das abstreiten? Sie haben es ja fotodokumentiert, Herr Staatsanwalt.“
Überthür machte Anstalten zu antworten, doch Hansen hob nur die Hand.
„ Kommissar Hell, wir haben, das heißt, ich habe jetzt folgendes Problem. Staatsanwalt Überthür hat ihre sofortige Ablösung von den Fällen gefordert, die Sie zurzeit bearbeiten und darüber hinaus eine
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