Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
sich ins Gedächtnis, was ihm diese Kommissarin vorgeworfen hatte. Er sollte ein Psychopath sein? Ein Parasit ohne jegliche soziale Kompetenz? Er gab sich ein feierliches Versprechen. Wenn er irgendwann noch einmal nach Deutschland kommen würde, er würde sich gerne an ihre Adresse erinnern.
Keiner durfte ihn ungestraft einen Psychopathen nennen. Vorm Präsidium hatte er ein Taxi genommen und war damit in die Innenstadt gefahren. Nachdem er eine Weile scheinbar ziellos durch die Straßen geschlendert war, verschwand er im Bonner Loch. Er ließ die unterirdische S-Bahnstation rechts liegen, wandte sich nach links, um auf der anderen Seite des Tunnels wieder ein Taxi zu besteigen. Das fuhr ihn nach Bonn-Endenich, in die kleine Altstadt. Hier wechselte er wieder das Taxi. Diesmal war sein Ziel der Siegburger Bahnhof. Er zahlte, stieg die paar Stufen hoch und schaute sich auf dem Bahnsteig um. Er hatte noch genug Zeit. Und er war sicher, alle Verfolger abgeschüttelt zu haben.
Er wechselte den Bahnsteig und ging mit ruhigen Schritten zu einem Schließfach. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, den er in seinen Schuhen versteckt hatte und schloss die Schließfachtüre auf. Mit einem absurden Ausdruck auf seinem Gesicht entnahm er dem Fach einen Rucksack.
Er nahm den Rucksack mit einem Riemen auf die rechte Schulter und machte sich auf die Suche nach einer öffentlichen Toilette. Hier vollzog sich eine erneute Metamorphose. Er schloss sich in einer Toilette ein, öffnete den Rucksack und holte seine neue Identität daraus hervor. Die Hose, die man ihm im Präsidium in die Hand gedrückt hatte, zog er eilig aus. Ebenso ein Hemd mit viel zu kurzen Ärmeln. Beides flog in die Ecke. Stattdessen zog er eine bügelfreie Anzugshose aus dem Rucksack. Ebenso ein bügelfreies Hemd und eine Anzugsjacke. Die eleganten Schuhe stellte er akkurat vor die Toilette. Schnell zog er sich um und band sich noch mit geschickten Fingern seine Krawatte. Die Türe öffnete sich und ein Kapitän der französischen Kriegsmarine trat vor den Spiegel. Er zog die Krawatte zurecht, öffnete den Mülleimer und warf die Hose und das Hemd hinein.
Um seine Lippen spielte ein zufriedenes Grinsen. Keiner konnte ihn nun noch aufhalten. Er hielt das Handy in der Hand, was man ihm im Präsidium ausgehändigt hatte. Schon im ersten Taxi hatte er es ausgeschaltet. So einen plumpen Versuch, ihn zu orten, konnte er nicht tolerieren. Lacro warf das Handy ebenfalls in die Mülltonne.
Er hielt den Rucksack in der rechten Hand, als der Zug einfuhr, der ihn direkt zum Köln-Bonner Flughafen bringen würde.
*
Sie wussten nichts über die Pläne von Jean-Paul Lacro, als er das Präsidium verließ. Nichts auf der Welt ärgerte Hell mehr. Irgendwie würde er versuchen, das Land zu verlassen. Das schien unzweifelhaft. Doch wie? Er hatte mehrere Optionen. Mit dem Flugzeug oder mit der Bahn. Von Köln-Bonn aus, von Düsseldorf oder auch von Frankfurt aus. Der Intercity brachte ihn in einer Dreiviertelstunde von Bonn in die Main-Metropole. Von dort aus stand ihm die ganze Welt offen.
Der große Unsicherheitsfaktor war die Zeit. Lacro hielt alle Karten in der Hand. Er wusste, wo sich Demian Roberts befand und er allein wusste, wie lange der Mann noch überleben würde. Und Sie hatten ihn ziehen lassen müssen. Das Handy hatte er ausgeschaltet. Sofort nachdem er das Haus verließ.
„ Mir gefällt das ganz und gar nicht. Der Kerl meldet sich von irgendwoher und ist dann verschwunden. Wenn er sich überhaupt meldet. Wer weiß, ob wir den Moderator überhaupt je finden“, sagte Klauk missmutig.
Die Stimmung war niedergeschlagen. Nicht nur, weil Lacro sie ausmanövriert hatte, sondern weil man um sich herum nur müde Gesichter sah. Grau und übernächtigt. Es fiel allen schwer, sich noch zu konzentrieren.
Hell trank einen Schluck Kaffee. Er lehnte sich mit dem Arm auf den Tisch und fasste sich ans Kinn. Die Bartstoppeln kratzten. Eine Flut automatischer und sich wiedersprechender Gedanken schoss ihm durch den Kopf. Es wunderte ihn nicht, dass ihm nichts einfiel, was er spontan hätte zur Lösung des Problems beitragen können. Er trank erneut einen Schluck Kaffee und ertappte sich erneut dabei, wie er an den Abend dachte. Zusammen mit Franziska hatte er sich die Angebote von Wohnmobilvermietern aus dem Rhein-Sieg-Kreis angesehen. Die Preise waren gesalzen. Beinahe war er schon so weit, die Idee wieder fallen zu lassen, doch Franziska ließ nicht locker. Sie würde
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