Oliver - Peace of Mind
dazu hatte Olli einen „absolut
geilen Film“, wie er ihn nannte, den wir unbedingt ansehen müssten. Er habe ihn
schon gesehen. Es sei unser Film! Monica, die kleine Französin, sehe ganz
genauso aus wie ich, erklärte er und küsste mich auf die Nase. Und Jesse sei
genau wie er: Atemlos! Oh, wie recht er behalten sollte.
Der Film hieß tatsächlich „Atemlos“. Die Hauptdarsteller: Richard Gere
und Valerie Kaprisky. Mochte ich auch aussehen, wie Monica, Olli fand ich viel
schöner als Richard Gere.
Wir sahen ihn von nun an oft, unseren Film. Monica, die brave Studentin,
Jesse, der Lebenskünstler: leidenschaftlich und frei.
Mit der Zeit konnte Olli einen Großteil der darin vorkommenden Sätze auswendig.
Ständig spielte er Szenen daraus nach. Und ich lachte ihn aus. Ich verstand
nicht, dass er es ernst meinte. Damals nicht.
Manche Paare haben ein gemeinsames Lied, das sie für immer aneinander
erinnert. Wir hatten diesen Film.
Wir liebten uns so sehr. Und wir dachten, alles sei selbstverständlich
so. Leider stritten wir immer öfter. Es wurde einfach zu eng. Wir konnten nicht
ohne einander sein, aber wenn man nie etwas ohne den anderen macht, verliert
man sich selbst und wird unzufrieden. Und langweilig.
So wurde eines Nachmittags aus einer lustigen Kissenschlacht ein riesiger
Streit.
Ich mochte nicht mehr, aber Olli hörte nicht auf. Während er noch Spaß
hatte, hatte mich längst die Wut gepackt. Ich beschimpfte ihn, er hätte mir mit
Absicht das Sofakissen so an den Kopf geschlagen, dass ich nun Kopfschmerzen
hatte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie viel größer und stärker er war
als ich. Und dass er mich mit Leichtigkeit mit einem Schlag hätte umhauen
können. Er hatte dagegen die ganze Zeit nur vorsichtig zugeschlagen, um mir
eben nicht wehzutun. Aber es half nichts.
Wir waren viel zu oft zusammen. Ihn störte das nicht, aber ich konnte das
nicht. Ich brauchte Abstand. Abstand, um mich wieder nach ihm sehnen zu können.
Das verstand er nicht. Er reagierte mit Eifersucht. Ich solle doch zu Matthias
zurückgehen. Der habe mir wohl besser gefallen. Und ich wurde wütend, denn ich
wollte nicht daran erinnert werden. Nie mehr! Denn ich schämte mich doch so
sehr dafür.
Wir schrien uns dann an und er warf mir meine Sachen aus dem Fenster
hinterher. Aber so leidenschaftlich, wie wir stritten, versöhnten wir uns dann
doch immer wieder. Es war die Zeit, als Pat Benatar „Love is a battlefield“ im
Radio sang. Aber mein Englisch war damals noch nicht gut genug, um alles zu
verstehen.
Nur einmal war es anders. Da meldete Oliver sich mehrere Tage nicht. Da
wollte ich sterben. Ich nahm, was ich finden konnte: Vier Paracetamol
Tabletten, meine Kopfschmerztabletten. Mehr hatte ich nicht. Doch schon zehn
Minuten später bekam ich es mit der Angst zu tun und steckte mir den Finger in
den Hals. Die Tabletten kamen halb aufgelöst wieder zum Vorschein.
Papa wollte mit mir zu Möbelkraft nach Bad Segeberg fahren. Unten am Auto
stießen wir auf Olli.
Erstaunlicherweise redete Papa mit ihm und bot ihm sogar an, mit uns zu
kommen. Wir saßen beide hinten: einer ganz an der linken Tür, der andere ganz
an der rechten Tür. Plötzlich wurde mir schlecht. Von der Aufregung, weil Olli
wieder bei mir war, und wohl wegen dem Teil der Tabletten, die ich nicht wieder
heraus gekotzt bekommen hatte. Das übernahmen sie jetzt selbst. Ich hatte
Kirschsaft getrunken, bevor wir losfuhren und der rumorte jetzt in meinem Bauch
herum.
Wie uncool! Ich schaffte es gerade noch Papa davon zu überzeugen,
umgehend an den Rand zu fahren. Ich riss die Tür auf und schon schoss der
knallrote Kirschsaft aus mir heraus. Olli sah entsetzt zu mir herüber, sprang
aus dem Auto und half mir beim Aussteigen. Er führte mich zu einem Baum, ein
wenig abseits der Straße und hielt mir die langen Haare zurück. Mit der anderen
Hand streichelte er meinen Rücken. Nichts auf der Welt hätte ich mehr
gebraucht.
Hätte ich es nur damals besser wertschätzen können. Hätte ich nur damals
schon gewusst, dass diese Gesten nicht selbstverständlich sind.
Wir brachen unseren Ausflug ab. Stattdessen verbrachte ich den Rest des
Tages über der Toilettenschüssel, Olli an meiner Seite. Von da an wollte ich
mich nie wieder für jemanden umbringen. Ich war ein für alle Mal kuriert. Man
stelle sich vor, ich wäre gestorben, wo Olli mich ja doch noch liebte.
Herbst 1984
Damit unsere Beziehung
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