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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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machte Doktor Losberne ein schiefes Gesicht, aber er konnte keinen bessern Plan in Vorschlag bringen, und so wurde der Mr. Brownlows schließlich einmütig zum Beschluß erhoben.
    »Ich möchte gern«, schloß Mr. Brownlow, »meinen alten Freund Grimwig zur Hilfe rufen. Er ist zwar ein sonderbarer Bursche, aber klug und scharfsinnig, und ist uns vielleicht nützlich. Er besitzt, was Sie vielleicht noch nicht wissen, Advokatenbildung, und hat diesen Beruf bloß an den Nagel gehängt, da er binnen zwanzig Jahren nur einen Zivilfall und eine Verteidigung bekommen hatte. Ob das eine Empfehlung für ihn ist oder nicht, darüber bilden Sie sich, bitte, selber Ihr Urteil.«
    »Ich habe nichts dagegen, daß Sie Ihren Freund mit hineinziehen,wenn ich nur auch einen Freund mit zu Hilfe nehmen darf«, sagte der Doktor.
    »Darüber müssen wir abstimmen«, versetzte Mr. Brownlow, »– wer ist Ihr Freund?«
    »Der Sohn dieser Dame hier – und ein sehr alter Freund dieser jungen Dame hier«, erklärte der Doktor und zeigte zuerst auf Mrs. Maylie und dann auf ihre Nichte.
    Rose wurde rot, erhob aber keine Einwendungen, vielleicht schon deshalb, weil sie fühlte, sie würde sich in Minorität befinden, wenn sie es täte.
    »Wir bleiben natürlich in London«, mischte sich Mrs. Maylie ins Gespräch, »so lange nur irgend Aussicht vorhanden ist, daß unsere Nachforschungen von Erfolg gekrönt sein werden. Ich werde weder Mühe noch Ausgaben sparen, um unser Ziel zu erreichen. Ich bleibe gerne hier, solange Sie mir Hoffnungen auf einen günstigen Verlauf machen können.«
    »Bravo«, rief Mr. Brownlow. »Da ich aber jetzt auf allen Gesichtern die Frage zu lesen glaube, wie es wohl zuging, daß ich nicht in der Lage war, Oliver ausfindig zu machen, sondern plötzlich England verließ, so müssen Sie mir schon gestatten, daß ich die Sache nicht eher aufkläre, bis ich es selbst an der Zeit halten werde, Ihnen die Geschichte meines eigenen Lebens zu erzählen. Glauben Sie mir, ich habe dazu triftigen Grund, und ich möchte nicht gern Hoffnungen erwecken, die sich vielleicht niemals verwirklichen lassen. Kommen Sie! Es ist jetzt zum Diner gerufen worden, und unser junger Freund sitzt allein drüben einsam in seiner Stube – und wird vielleicht glauben, wir vernachlässigen ihn oder planen gegen ihn eine finstere Verschwörung.«
    Damit reichte der alte Herr Mrs. Maylie seinen Arm und führte sie in das Eßzimmer. Doktor Losberne folgte mit Rose, und die Beratung wurde vorläufig abgebrochen.

ZWEIUNDVIERZIGSTES KAPITEL
    Ein alter Bekannter Olivers reift zu einem öffentlichen Charakter heran
     
    In jener Nacht, in der Nancy zu Rose geeilt war, schritten zwei Personen von Norden her auf der großen Hauptstraße London zu.
    Es waren ein Mann und eine Frau, oder nennen wir sie besser: ein Er und eine Sie, denn ersteres von beiden war eine langbeinige, schlottrige, knöcherne Gestalt, die weder aussah wie ein gereifter Knabe noch wie ein verkümmerter Mann. Die zweite war ein junges Frauenzimmer von derbem und kräftigem Bau, mit einer schweren Bürde auf dem Rücken. Ihr Begleiter hatte nur geringes Gepäck, trug es an einem Stock über der Schulter und war infolgedessen stets einige Schritte weit vor ihr voraus, wobei er es an Vorwürfen über die Langsamkeit seiner Gefährtin nicht mangeln ließ. Die beiden hatten Highgate hinter sich, da hielt die männliche Gestalt still und rief ungeduldig der weiblichen zu: »Kannst du denn nicht geschwinder gehen, was schleichst du denn immer so faul daher, Charlotte?«
    »Es ist eine schwere Last, das kannst du mir glauben«, antwortete sie atemlos.
    »Schwer? Dummes Geschwätz«, fuhr Noah Claypole – denn er war es – fort und legte sein kleines Bündel auf die andre Schulter. »Schon wieder stehst du still! Da muß schon der Geduldigste die Geduld verlieren.«
    »Ist es noch weit?« fragte Charlotte und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
    »Noch weit? Wir sind schon beinahe da. Siehst du dort hinten die Lichter von London?«
    »Das sind ja noch zwei gute Meilen mindestens«, jammerte Charlotte verzweifelt.
    »Zwei Meilen oder zwanzig, egal. Steh auf, sonst geb ich dir einen Tritt«, fuhr Noah zornig auf und mit noch röterer Nase als gewöhnlich. Charlotte stand auf und schritt wieder neben ihm her.
    »Wo gedenkst du für die Nacht zu bleiben?« fragte sie, nachdem sie ein paar hundert Schritt weit gegangen waren.
    »Wie soll ich denn das wissen«, murrte Noah, dessen schlechte

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