Oliver Twist
Nasenbein, und Noah bemühte sich sogleich, die Gebärde instinktiv nachzuahmen, was ihm aber mißlang, da seine Nase zu klein war. Immerhin erblickte Mr. Fagin in dem Bestreben, es ihm gleichzutun, ein Zeichen vollkommener Übereinstimmung mit seiner Meinung und ließ die Schnapsflasche, die Barney inzwischen hereingetragen, in leutseliger, gastfreundschaftlicher Weise kreisen.
»Ein guter Tropfen«, brummte Mr. Claypole, mit den Lippen schnalzend.
»Teier, sag’ ich Ihnen«, sagte Fagin, »teier! Den ganzen Tag muß man Sachen ausreimen: e Geldkasten, e Tasche, e Damenretikule, e Wohnung, e Postkutsche oder e Bankinstitut, wenn mer so was regelmäßig trinken will.«
Mr. Claypole hatte kaum die Wiederholung seiner eigenen Worte gehört, als er zurücksank, das Gesicht so weiß wie Kalk an der Wand, dabei entsetzt von dem Juden zu Charlotte hinüberblickend.
»Machen Se sich nix daraus, lieber Freind«, sagte Fagin und rückte näher. »E Glick ist es gewesen, daß bloß ich Sie hab gehert durch Zufall. E großes Glick, das kann ich Ihnen sagen.«
»Ich hab’s nicht gestohlen«, stammelte Noah, der jetzt nicht mehr wie vorher seine Beine ausgestreckt, sondern sie vergrämt unter dem Stuhl versteckt hatte. »Sie ist es ganz allein gewesen. Sie ganz allein hat’s getan. Du hast das Geld ja noch immer bei dir, Charlotte, du weißt doch. Du weißt es ganz gut.«
»Wer’s bei sich hat, oder wer’s gestohlen hat, mei Freind, das ist ganz gleichgiltig«, versetzte Fagin und schielte wie ein Habicht nach dem Mädchen und dessen Bündel. »Ich reis’ doch selber in der Branche, deswegen habt ihr beide mir so gefallen.«
»In was für einer Branche?« fragte Mr. Claypole, langsam wieder zu sich kommend.
»Ich will damit sagen, ich betreib doch denselben Handel wie ihr, mei Freind«, erklärte Fagin, »und das tun alle Leinte hier im Hause. Sie haben die Sache richtig getroffen. Sie sind hier so sicher wie nur irgendwo auf der Welt. Auf der ganzen Erde ist kei Platz, wo’s sicherer wär als hier bei die drei Krippel, das heißt: wann es mir paßt, daß ihr hier sicher seid. Was soll ich sagen? Ich hab an eich beiden e Narren gefressen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
Mr. Claypole rutschte und drehte sich immer noch auf seinem Sessel und konnte vor Furcht und Argwohn keinen Blick von dem Juden wenden.
»Ich will eich noch was weiteres sagen«, fuhr Fagin fort, der inzwischen durch freundliches Zunicken das Mädchen wieder beruhigt hatte. »Ich hab’ en guten Freind, der, wenn ich nicht irr, eiern Wunsch erfüllen kann und eich ins Geschäftslebeneinfihrt und dabei doch weit unter eich stehen wird.«
»Sie reden ganz, als wenn’s Ihnen wirklich ernst wäre«, faßte Noah Claypole Mut zu sagen.
»Auf was herauf sollt ich anders reden?« fragte Fagin und zuckte die Achseln.
»Schaff jetzt das Gepäck hinauf!« befahl Noah. »Und sieh nach den andern Bündeln.«
Sein im kategorischen Ton gegebener Auftrag wurde sofort ausgeführt. Charlotte drückte sich, so geschwind sie konnte, mit ihrer Bürde und Noahs Gepäck aus der Gaststube die Treppe hinauf, wobei Noah die Türe offenhielt und sie hinausließ, um ihr dann noch lange nachzublicken.
»Ich hab’ sie ziemlich gut dressiert, was?« fragte er im Ton eines Menageriebesitzers, der sich etwas darauf zugute tut, irgendeine wilde Bestie gezähmt zu haben, und machte es sich auf seinem Stuhl bequem.
»Soll ich e so leben«, versetzte Fagin und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter. »Sie sind e Genie, mei lieber Freind.«
»Ich glaube, wenn ich nicht so etwas Ähnliches wär, würde ich nicht hier sein«, versetzte Noah stolz. »Aber wenn Sie sich jetzt nicht eilen mit dem, was Sie sagen wollen, dann ist sie schneller wieder hier, als sie gegangen ist.«
»Nu also, was meinen Sie zu dem, was ich Ihnen gesagt hab?« fragte Fagin. »Wenn Ihnen mei Freind paßt, können Sie nichts Besseres tun, als mit ihm in Kompagnie zu gehen.«
»Ist das Geschäft gut? Darauf kommt alles an«, erwiderte Noah und zwinkerte mit seinen Rattenaugen.
»Püh«, rief der Jude. »E umsichtiger, e kapitaler Mensch, der vielen Leiten Beschäftigung und Arbeit gebt. Er verkehrt mit der allerbesten Gesellschaft, kann ich Ihnen sagen.«
»Mit wem denn?« fragte Mr. Claypole.
»Nicht e einziger Landmann is drunter, und er mecht Ihnen auch gar nix nehmen, wenn er jetzt nicht e bisserle knapp wär an Hilfskräften«, versetzte Fagin.
»Das wird wohl Handgeld kosten,
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