Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
ebenso gut verstehen wirst wie ältere Leute.«
    »O bitte, sagen Sie nicht, daß Sie mich wegschicken wollen, bitte, bitte nicht, Sir«, rief Oliver bestürzt über den Ernst, mit dem der alte Herr begonnen hatte. »Schicken Sie mich nicht wieder auf die Straße hinaus, lassen Sie mich hierbleiben und Ihnen dienen. Schicken Sie mich nicht wieder an den schrecklichen Ort, wo ich hergekommen bin, haben Sie Mitleid mit mir, Sir.«
    »Liebes Kind«, sagte der alte Herr, von der Innigkeit der Bitte ergriffen, »du brauchst keine Furcht zu haben, daß ich meine Hand von dir abziehen werde, solange du nicht selbst mir Veranlassung dazu gibst.«
    »Das wird nie, nie der Fall sein, Sir«, beteuerte Oliver.
    »Wir wollen es hoffen«, erwiderte der alte Herr, »ich erwarte auch nicht, daß jemals der Fall eintreten wird. Manhat mich früher oft getäuscht, und gerade Leute, denen ich Gutes zu tun bestrebt war. Doch nichtsdestoweniger will ich dir trauen und nehme an deinem Wohlergehen mehr Anteil, als ich nach meinen bisherigen Erfahrungen eigentlich tun sollte. Diejenigen, denen ich viel Gutes und Liebes erwiesen, liegen bereits im Grabe. Aber wenn auch das Glück und die Freude meines Lebens ebenfalls dort begraben liegt, so ist mein Herz doch noch kein Sarg geworden und der Deckel noch nicht geschlossen über meinen Sympathien. Der Kummer hat mich bisher nur gestärkt und gebessert.«
    Der alte Herr sagte das mit leiser Stimme und mehr zu sich selbst als zu dem Kleinen, dann blieb er eine Weile stumm, und auch Oliver saß still und regungslos da.
    »Lassen wir es gut sein«, fing der alte Herr endlich wieder an, und zwar sehr heiter. »Ich habe dir das nur gesagt, weil dein Herz noch jung ist und du dir vielleicht infolgedessen vornehmen wirst, mir nicht wehe zu tun, wenn dir bekannt ist, wieviel Leid ich schon erlitten habe. Du hast gesagt, du seist eine Waise und besäßest keinen Freund auf der Welt, und die Erkundigungen, die ich diesbezüglich einholte, haben die Wahrheit bestätigt. Erzähle mir deine Geschichte und sage mir, wo du herkommst, wo du erzogen bist und wie du in die schlechte Gesellschaft gerietest, in der ich dich fand. Sprich nur die Wahrheit, und so lange ich lebe, will ich dein Freund sein.«
    Eine Zeitlang konnte Oliver vor Schluchzen gar nicht reden. Er wollte eben beginnen, wie er im Armenhaus erzogen wurde und wie ihn Mr. Bumble ins Arbeitshaus gebracht habe, als es zweimal hintereinander an der Haustür klopfte, das Dienstmädchen heraufkam und Mr. Grimwig meldete. »Kommt er herauf?« fragte Mr. Brownlow.
    »Jawohl, Sir«, sagte das Dienstmädchen, »er hat gefragt,ob frische Semmeln im Haus seien, und als ich’s bejahte, meinte er, er sei zum Tee gekommen.«
    Mr. Brownlow lächelte und erklärte Oliver, Mr. Grimwig sei ein alter Freund von ihm, und er solle sich nicht etwa vor ihm fürchten, denn Mr. Grimwig habe nur eine so rauhe Schale; im Grund seines Herzens sei er jedoch ein braver Mann, wie es kaum einen bessern gebe.
    »Soll ich hinuntergehen, Sir?« fragte Oliver.
    »Nein, mir ist es lieber, du bleibst.«
    In diesem Augenblick trat, auf einen Spazierstock gestützt, ein rüstiger alter Herr ein, der auf einem Bein ein wenig lahmte, einen blauen Rock, eine gestreifte Weste, Nankinghosen und Gamaschen trug und auf dem Kopf einen breitrandigen weißen Hut sitzen hatte, dessen aufgekrempte Ränder grüne Borten zierten. Eine enggefältelte Krause guckte aus der Weste hervor, und eine außerordentlich lange stählerne Uhrkette, an deren Ende ein Schlüssel hing, baumelte ihm nachlässig aus der Tasche heraus. Die Enden seiner weißen Halsbinde waren zu einem Knäuel zusammengedreht, ungefähr von der Größe einer Orange. Mr. Grimwig hatte eine ganz eigentümliche Art, Gesichter zu schneiden, und drehte beim Sprechen stets den Kopf hin und her, wobei er aus den Augenwinkeln hervorlugte wie ein Papagei. Gleich beim Eintreten benahm er sich so und rief dabei, mit der ausgestreckten Hand ein kleines Stückchen Orangenschale hinhaltend, knurrend und verdrießlich:
    »Da schauen Sie mal her! Sehen Sie sich das an! Man kann doch rein keinen Menschen besuchen, ohne nicht ein Stück von diesem Lieblingsgegenstand miserabler Chirurgen auf der Treppe zu finden. Eine Orangenschale ist die Ursache, daß ich ein Krüppel geworden bin, eine Orangenschale wird, das weiß ich bestimmt, noch einmal die Ursache meines Todes sein. Ganz gewiß und wahrhaftig. MeinenKopf will ich auf der Stelle aufessen, wenn

Weitere Kostenlose Bücher