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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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mitgenommen«, antwortete der Schließer.
    »Was für ein Gentleman? O Gott, was für ein Herr?«
    Der Schließer erzählte der trostlosen Schwester, Oliver sei beim Verhör krank geworden und freigesprochen worden, und zwar auf die Aussage eines Zeugen hin. Dann habe ihn der anfängliche Kläger in bewußtlosem Zustand in einer Droschke fortgeschafft, und zwar nach seiner Wohnung, von der er weiter nichts wisse, als daß sie irgendwo in Pentonville liege; mehr habe er nicht verstanden.
    Von Zweifeln und Ungewißheit zerrissen wankte die zu Tode geängstigte junge Dame zum Gefängnistor hinaus, wandelte ihre geknickte Gangweise sodann rasch in einen gelinden Trab um und kehrte auf dem verwickeltsten Wege, den sie sich nur ausdenken konnte, zu dem Hause des Juden zurück.
    Mr. Bill Sikes hatte kaum gehört, was Nancy zu melden hatte, als er eiligst seinen Köter herbeirief, den Hut aufsetzte und, ohne sich in der üblichen Form eines wohlerzogenen Gentlemans zu empfehlen, fortbegab.
    »Wir müssen rauskriegen, wo er steckt; gefunden muß er werden«, rief der Jude erregt. »Charley, geh hinaus auf der Straße und gib acht, ob de nix von ihm siehst oder hörst. Und Sie, Nancyleben, ich sag’ Ihnen, ich muß ihn wiederhaben; ich verlass’ mich auf Ihnen und auf den Baldowerer. Da haben Sie Geld, was soll ich mehr sagen?« Dabei öffnete er mit behender Hand eine Schublade und reichte den beiden ein paar Geldstücke. »Ich werd’ heintenacht hier alles abschließen, und ihr werdet schon wissen, wo ihr mich finden könnt. Nich ä Augenblick länger bleib’ ich hier.«
    Bei diesen Worten schob er alle seine Gäste aus der Stube, verschloß sorgfältig seine Türe und machte sich, nachdem er noch vorher sorgfältig den Inhalt des Kästchens, das Oliver damals gesehen, zu sich gesteckt, eiligst daran, alles abzusperren.
    Ein Klopfen an der Tür erschreckte ihn.
    »Wer is da?« rief er schrill.
    »Ich«, antwortete der Baldowerer durchs Schlüsselloch.
    »O nu, was is denn scho wieder los?« rief der Jude ungeduldig.
    »Nancy läßt fragen, ob wir, wenn wir ihn haben, ihn in die andere Bude schaffen sollen?«
    »Natürlich«, antwortete der Jude, »findet ihn nur zuerst. Ich werd’ dann schon wissen, was zu tun is.«
    Der Junge murmelte ein paar Worte und eilte die Treppe hinunter seinen Gefährten nach.
    »Noch hat er nichts ausgeplauscht bei der Polizei«, murmelte der Jude und setzte endlich seine Beschäftigung fort. »Wenn er aber den Leinten etwas verrät, bei denen er jetzt steckt, werden wir ihm schon den Mund stopfen.«

VIERZEHNTES KAPITEL
    Eine bemerkenswerte Prophezeiung eines gewissen Mr. Grimwig über Oliver Twist
     
    Als sich Oliver bald wieder von der Ohnmacht, in die er infolge des plötzlichen Ausrufs Mr. Brownlows gefallen war, erholt hatte, vermieden der alte Herr und Mrs. Bedwin sorgfältig, das Gespräch abermals auf ein Thema zu bringen,das irgendwie mit dem Bild, seiner Herkunft oder seiner Geschichte zusammenhing.
    »Ja«, sagte die Haushälterin, als sie Olivers fragenden Blick bemerkte, »wie du siehst, hat man es entfernt.«
    »Ich sehe, Madame«, antwortete Oliver. »Warum haben Sie es fortgenommen?«
    »Ach Gott, Mr. Brownlow meinte, es könnte dich aufregen und deiner Gesundheit schaden«, antwortete die alte Dame.
    »O nein, gewiß nicht, es hat mich gar nicht aufgeregt, Mrs. Bedwin«, sagte Oliver, »es hat mich im Gegenteil sehr gefreut; ich habe es gern gehabt.«
    »Schon gut, schon gut«, sagte die alte Dame froh gelaunt, »schau nur zu, daß du bald gesund wirst, damit es wieder aufgehängt werden kann, Kind. Ich verspreche es dir, es wird geschehen. Aber reden wir jetzt von etwas anderem.«
    Weiteres konnte Oliver zunächst nicht über das Bild erfahren. Da die alte Dame seine ganze Krankheit hindurch so lieb zu ihm gewesen war, trachtete er, sich die Sache aus dem Kopf zu schlagen, aber immer hörte er aufmerksam zu, wenn sie ihm von ihrer hübschen lieben Tochter erzählte, die mit einem braven Mann verheiratet sei und auf dem Lande wohnte, und ebenso von ihrem Sohn, der bei einem Kaufmann in Westindien in Diensten stehe und ebenfalls ein braver junger Mann sei und ihr viermal im Jahr einen so braven lieben Brief nach Hause schriebe, daß ihr, wenn sie nur davon spreche, Tränen in die Augen träten. Nach dem Tee lehrte sie Oliver Sechsundsechzig spielen, was er so schnell begriff, daß es eine Freude war, und sie spielten so eifrig und ernst miteinander, daß die Zeit im

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