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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jowi Schmitz
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war ein bisschen kalt, trotzdem merkte ich, dass der Frühling bald kommen würde. Mein Vater fühlte sich warm an. Der Alkohol umgab ihn wie eine Dampfwolke. Ich sagte: »So schlimm ist es gar nicht. Es geht schon.« Obwohl ich gar nicht wusste, was eigentlich nicht schlimm sein und schon gehen sollte.
    Er schluchzte. »Entschuldigung, Krump, ich wollte das auch nicht. Ich wollte das alles nicht.«
    »Macht nichts«, sagte ich, aber im Stillen dachte ich: Komisch, er wollte das doch. Er wollte doch wegziehen, oder?
    Bis ich begriff, dass er gemeint hatte, er habe nicht gewollt, dass meine Mutter stirbt. Wieder war ich den Tränen so nahe, dass ich sie schon schmeckte. Salzgeschmack im Mund, brennende Augen und gleich darauf schrecklichen Durst. Also griff ich nach der Flasche mit Leitungswasser, die zwischen unseren Betten stand, und trank einen Schluck. Als ich wieder aufblickte, war mein Vater in sein Bett geschlüpft. Ich hörte gedämpftes Schluchzen, legte die Hand auf seine Decke, und das Schluchzen wurde lauter. Ich strich so lange über die Decke, bis er still war.

 
    9
     
    Als ich am nächsten Morgen aufstand, fiel mir auf, dass das ganze Boot nach Schimmel stank. Ich lief mit meinem Badeanzug in den Salon, wo sich die Dusche befand, und danach rannte ich in mein Handtuch gewickelt, aber trotzdem ziemlich nass, zum großen Zaun und hielt durch die Ritzen nach Sascha Ausschau. Meinen Badeanzug musste ich ein paarmal zurechtziehen, weil er zwischen die Pobacken rutschte. Letztes Jahr hatte er noch prima gepasst, aber jetzt war er mir auf einmal zu klein geworden. Ich hatte auch das Gefühl, dass man ein bisschen von meinen Brüsten sehen konnte. Wo kamen die auf einmal her?
    Bestimmt bräuchte ich bald einen BH. Mit meiner Mutter einen zu kaufen wäre überhaupt kein Problem gewesen. Die hatte eine Vorliebe für peinliche Dinge. Blut, Urin, Schweiß. »Wirklich komisch, dass die Leute sich für den eigenen Körper schämen, oder?«
    Ich verstand, wie sie das meinte, schämte mich aber trotzdem. Mit meinem Vater einen BH zu kaufen wäre bestimmt merkwürdig. Ich sah ihn schon stammelnd im Geschäft stehen und schließlich einen hässlichen BH aussuchen. Nur so, weil er es eben nicht konnte.
    Weil Sascha noch nicht da war, las ich im Friseursalon eine Zeitschrift, in der Klatsch von vor einem Monat stand. Es gab auch eine Autozeitschrift und eine über Politik. Ich hatte keine Ahnung, woher mein Vater die Zeitschriften bekam. In seinem alten Salon hatten sie auch schon herumgelegen. Vielleicht bekamen Friseure sie ja von selbst.
    Aus Langeweile setzte ich mich alle zwei Seiten auf einen anderen Stuhl. Am Anfang saß ich auf der kleinen Bank, dann zog ich erst auf einen der beiden Zahnarztstühle um, danach auf den anderen und schließlich auf den alten schwarzen Sessel aus rissigem Leder, der vor dem Waschbecken stand und nach Männerschweiß stank.
    Sascha hatte gesagt, er würde früh kommen. »Um neun Uhr oder so, dann sind noch Plätze frei.« Ich hatte gelacht. Als ob wir uns im Schwimmbad nicht von der Stelle bewegen würden.
    In dem stinkigen alten Sessel war es am unbequemsten, trotzdem blieb ich sitzen, bis ich die Zeitschrift zu Ende gelesen hatte. Dann lief ich schnell zum Zaun, weil ich sicher war, dass er jetzt da sein musste. War er nicht.
    »Ruf ihn doch auf dem Handy an«, murmelte mein Vater, als ich schimpfend in die Kajüte kam. Doch ich hatte die Nummer von Saschas Handy gar nicht. Und auf der Klassenliste stand nur die vom Festnetz.
    »Um halb zehn darfst du bei ihm zu Hause anrufen«, sagte mein Vater. »Aber erst, wenn du deinem armen Vater einen Kaffee gekocht hast.«
    Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört, ging in den Friseursalon und drehte mich auf einem der Zahnarztstühle im Kreis. Um fünf vor halb zehn kam mein Vater aus dem Boot und kochte Kaffee, das konnte ich riechen. Wieder nahm ich mir eine Zeitschrift und betrachtete Autos, bis er mitsamt seinem Kaffee wieder verschwunden war. Dann ging ich in den Flur zwischen dem Laden und der Küche, wo das alte Münztelefon hing. Münzen brauchte man nicht hineinzuwerfen, aber der Hörer fühlte sich schwer und altmodisch an.
    Ich wählte Saschas Nummer. Das Telefon klingelte, einmal, zweimal, dreimal. Dann sprang der Anrufbeantworter an. Eine Frauenstimme. Saschas Mutter? Oder die neue Freundin seines Vaters? Manchmal ändern die Leute ihre Nachricht ganz lange nicht. Sich selbst ruft man schließlich nicht oft an. Bei Nettie

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