Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
bellen.
Die Hunde waren Brüder und ein Jahr jünger als Sascha. Sabber hieß so, weil er, als sie ihn als Welpe bekommen hatten, als Erstes seine ganze Spucke über dem kleinen Sascha abgeschüttelt hatte – das hatte Sascha mir mal erzählt, als er besonders gesprächig gewesen war. Er war von oben bis unten voll Hundespucke gewesen, hatte sich aber kaputtgelacht.
Barsch war namenlos geblieben, bis er eines Tages in den Kanal fiel, in dem Saschas Vater angelte und wo dicke Zuchtbarsche herumschwammen. Mit Entengrütze auf dem Kopf war er wieder aufgetaucht. Dann hätte man ihn doch Entengrütze nennen sollen, sagte ich. Das fand Sascha auch, aber sein Vater meinte, dass Barsch barschähnliche Streifen habe. Typisch für einen Erwachsenen, sich auf diese Weise einen Namen auszudenken.
»Und du hast bestimmt wie ein Sascha ausgesehen«, sagte ich.
Ernst nickte er. »Ich finde, dass ich immer noch wie ein Sascha aussehe.«
Ich selbst finde schon mein ganzes Leben, dass ich überhaupt nicht wie eine Olivia aussehe. Meine Eltern müssen völlig neben der Spur gewesen sein, als sie meinen Namen ausgesucht haben. Gar nicht mal, weil ich Olivia nicht schön finde (obwohl es irgendwann nicht mehr witzig ist, immer mal wieder Olivien Bolivien genannt zu werden), sondern weil der Name überhaupt nicht zu mir passt. Ich bin keine Olivia.
»Ich will einen anderen Namen«, habe ich meine Mutter angeblich mal angeschrien, als ich kleiner war.
»Wie möchtest du denn heißen?«, hatte sie gefragt.
»Flieger«, hatte ich entschieden geantwortet.
»Ein Flieger ist ein Ding, kein Name«, hatte meine Mutter gesagt. »Wir können dich zwar so nennen, aber dann darfst du dich nicht wundern, wenn die Leute dich in die Luft steigen lassen wollen.«
Da war ich nachdenklich geworden. Dann hatte ich gesagt: »Krumpel.«
Und so sind meine Eltern auf Krump gekommen. Immerhin besser als Olivia. Fand ich damals jedenfalls.
Der Zaun blieb in immer gleicher Entfernung von Saschas Haus. Aber ich ging trotzdem weiter, selbst als in der Ferne ein Wassergraben auftauchte und ich sah, dass ich nicht weiterkommen würde. Ich hatte nämlich etwas gesehen. Und ich ging weiter, weil ich sicher sein wollte, dass das, was ich gesehen hatte, stimmte.
Es fühlte sich so ähnlich an wie damals, als meine Mutter gerade gestorben war und in ihrem Sarg lag. Alle hatten geweint. Ich hatte neben meinem Vater gestanden und nur geguckt, doch am liebsten hätte ich meine Mutter in den Arm gekniffen – und zwar mit aller Kraft. Um zu schauen, ob es stimmte. Um sie zu wecken.
Obwohl ich wusste, dass es nichts gebracht hätte. Obwohl ich das sah.
Und obwohl ich mich gleichzeitig davor gefürchtet hatte, dass ich dann ein Stück von ihrem Arm in der Hand halten würde.
Jetzt stand ich vor dem Wassergraben und kam nicht mehr weiter. Auf der anderen Seite des Zauns sah ich einen Mini-Spielplatz. Ein überdachter Sandkasten, ein Holzturm mit Rutsche und zwei Schaukeln. Nicht so hoch wie die bei mir um die Ecke, eher Marke Eigenbau mit Plastiksitzen, in denen sich Pfützen bilden, wenn es kräftig regnet. So Sitzschalen, die im Herbst beim Schaukeln leise gluckern. Nettie hatte ebenfalls so eine Schaukel, aber sie hatte ja auch fünf Brüder und einen großen Garten.
Sascha gehörte dieser Mini-Spielplatz ganz allein, und er hatte mir nie davon erzählt. Dann gab es da noch etwas, wovon er mir nie was erzählt hatte. Er war mit Milena befreundet.
Das Mädchen mit den blonden Engelslocken war bei ihm, bei meinem besten Freund. Zusammengesunken saß sie da, und ihre Füße schleiften auf dem Boden, so niedrig hingen die Schaukeln. Sascha saß genauso zusammengesunken da, sie bewegten sich beide kaum.
Er war also mit Milena zusammen. Auf seinem eigenen Spielplatz. Neben seinem eigenen Haus mit Sabber und Barsch und den hunderttausend Stiften.
Ich blieb stehen, und meine Turnschuhe versanken sofort im Schlamm. Aus Angst steckenzubleiben, zog ich einen Fuß heraus – sonst müssten mich womöglich noch Sascha und Milena retten, brr. Es ploppte ziemlich laut. Hatten sie es gehört? Sie blickten nicht auf. Ich zog den anderen Fuß heraus, der genau dasselbe Geräusch machte, und ging wieder zurück.
Wie Leibwächter trotteten Sabber und Barsch neben mir her. Ich drehte mich nicht um, wusste also nicht, ob Milena und Sascha mich gesehen hatten. Doch als ich zum Eingangstor kam, fing Barsch plötzlich an zu bellen und sprang so hoch gegen den Zaun, dass ich
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