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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jowi Schmitz
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mich.
    »Das sind wichtige Dinge«, sagte mein Vater. »Wichtige Dinge muss man im Auge behalten.«
    Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Aber es sind doch nicht die wichtigsten Dinge«, erwiderte ich. Bei diesen Worten fiel mir plötzlich ein, wo das Kleid meiner Mutter sein musste. Ich ließ meinen Vater samt Handtuch im Garten stehen und stieg ins Boot, nahm den Rucksack, der neben dem Fernseher stand, und stellte ihn auf den Kopf. Es war nicht mehr viel drin, ein paar Hemden und ein kleiner Haufen Unterhosen. Zuletzt fiel etwas Rotes heraus. Das Kleid meiner Mutter. Er hatte es für sich selbst eingepackt.
    »Krump?« Mein Vater stand an Deck.
    Ich rannte zur Luke und zog sie zu.
    »Krump, sei nicht blöd.« Mein Vater klopfte auf die Luke, doch ich hatte sie von innen verriegelt. »Ich muss jetzt los.«
    Ich schwieg.
    »Das nächste Mal machen wir es wieder gut. Doppelt!« Ich hörte, wie er die Leiter hinunterstieg.
    Dann hörte ich die Tür zur Küche zufallen, und weg war er.
     
    In mir drin war es ganz leer.
    Ich blieb einfach mit dem roten Kleid mitten in der Schmutzwäsche auf seinem Bett sitzen. Die Zeit verstrich.
    Schließlich legte ich das rote Kleid unter mein Kopfkissen. Wenn er es versteckt hatte, konnte ich das auch.
    Ich ging in der Küche im Friseursalon Zähne putzen, lief zurück zum Boot, schlüpfte ins Bett meines Vaters und sah fern.
    Doch ich schlief nicht ein.
    Stunden später lag ich noch immer wach.
    Ich streckte die Beine in die Luft und malte Kreise an die Decke. Wenn meine Beine noch ein bisschen mehr wuchsen, könnte ich die Decke hochstemmen. Und wenn ich furchtbar dick wäre, käme ich nie mehr heraus. Dann müsste man das Deck aufschneiden, um mich zu befreien. Am besten aß ich nicht zu viel Kuchen – falls ich überhaupt je wieder Kuchen essen würde, bei diesem blöden Vater. Ich ließ die Beine in die Gegenrichtung kreisen.
    Die ganze Woche hatte Milena mich zusammen mit ihrer Clique nachgeäfft. Stand ich neben meiner Kletterpflanze und pflückte ein Blatt ab, pflückten sie sich auch ein Blatt. Hmmm, lecker, machten sie. Als wollten sie das Blatt essen. Als würde ich solche Blätter essen. Wir hatten sogar Zuschauer. Kinder aus meiner Klasse, aber auch aus anderen Klassen, die stehen blieben und lachten. Beim Läuten ging ich immer als Erste rein, und der ganze Tross kam hinter mir her. Und morgen würde Milena mir bestimmt in ihrem rosa Bikini am Beckenrand auflauern.
    Könnten wir doch nur weg hier. An einen anderen Ort, wo wir noch mal von vorn anfangen würden. Aber dann richtig. An einem Ort, wo es wirklich nette Kinder gab. Wo ich so dick werden konnte, wie ich wollte. Und nicht immer die Stinkesocken meines Vaters riechen musste, nur so zum Beispiel. Und wo wir haufenweise Geld verdienten.
    Morgen fingen die Ferien an. Ich war froh, dass es so was wie Ferien gab, hatte jedoch immer noch nicht die geringste Ahnung, was ich die ganze Zeit tun sollte. Meinen Vater konnte ich auch nicht fragen, der war nicht nur blöd, sondern auch noch weg.
     
    Ganz langsam verging die Zeit. Erst war es zehn Uhr abends, dann Viertel nach zehn, und dann muss ich kurz geschlafen haben, denn als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es Mitternacht und mein Vater zog sich so leise wie möglich aus. Ich lag immer noch in seinem Bett. Sein Geruch stieg mir in die Nase: Bier und Rasierwasser. Beim Ausziehen gab er leise Geräusche von sich. Irgendetwas zwischen Stöhnen und Singen, als wollte er das Ablegen seiner Kleider musikalisch untermalen.
    »Papa?«
    »Krump?«, sagte er und stellte sich an sein Bett. Ein bisschen gekrümmt, weil er nicht aufrecht in die Kajüte passte.
    »Ich finde es hier nicht schön«, flüsterte ich schließlich. Das sagte ich ganz leise, aber weil er so dicht neben mir stand, hörte er mich doch. Wenn er mir in dem Moment die Hand an die Wange gelegt hätte, dann hätte ich sicher geweint, die Tränen waren näher denn je. Sie rauschten direkt hinter meinen Augen. Ich rückte ein bisschen näher zu ihm, doch im selben Moment wich er einen Schritt zurück und setzte sich auf mein Bett.
    Wieder blieb es eine Weile still, dann hörte ich einen Schluchzer. Ich setzte mich auf und sah ihn an. Da saß er in seiner langen Unterhose mit dem behaarten Bauch darüber und stützte den Kopf in die Hände. Eine Socke hatte er noch an. Schluchz, noch mal schluchz, schnief, schluchz, schnief. Ich kroch aus meiner warmen Höhle und setzte mich zu ihm. Der Fußboden

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