Oliviane – Der Saphir der Göttin
unverblümte Hinauswurf durch die sonst so schweigsame und passive Braut des Burgherrn überraschte Ava, aber da sie sich ohnehin nicht gerade um Arbeit riss, gehorchte sie auf der Stelle. Sie ließ das Gewand sinken, deutete einen mürrischen Knicks an und wies auf das Tablett, das sie auf dem Tisch deponiert hatte.
»Euer Morgenmahl. Es ist warme Ziegenmilch mit Honig in dem Krug und ...«
»Danke!«, schnitt Oliviane ihr das Wort ab. »Noch etwas. Der Priester, der mich schon am Weihnachtstag trauen sollte – befindet er sich noch immer in der Burg?«
»Natürlich.«
»Schick ihn zu mir. Ich möchte beichten. Es gehört sich nicht, das neue Jahr mit den Sünden des alten zu beginnen.«
»Ihr werdet Euch gedulden müssen. Der fromme Mann hat ebenso tüchtig gezecht wie die Männer des Seigneurs. Ich fürchte, es wird seine Zeit dauern, bis er wieder einen klaren Kopf hat.«
Oliviane biss sich nervös auf die Unterlippe und zwang sich zur Geduld, bis Ava endlich verschwunden war. Dann jedoch stürzte sie aus dem Bett und machte sich hastig daran, das Gewand zu prüfen, das sie in der Nacht ausgezogen hatte, ohne seinen Zustand näher zu beachten. Was gab es da noch, das sie verriet? Taubendreck? Schmutz? Vielleicht sogar Blut?
Der königsblaue Samt hatte etwas von seiner glänzenden Pracht eingebüßt, aber mehr als Knicke, Staub und die erwähnten Taubenspuren konnte auch Oliviane nicht entdecken – so wenig wie sie ein Zeichen an ihrem bloßen Leib fand, den sie prüfend musterte, nachdem sie sich mit dem eiskalten Wasser aus der Waschschüssel gesäubert hatte.
Da war lediglich ein seltsamer, leicht ziehender Schmerz zwischen ihren Beinen, aber das war auch schon alles. Wenn es ein Zeichen für ihre Ehrlosigkeit gab, so trug sie es tief in ihrem Körper, in dem sie noch das Echo der sündigen Leidenschaft spürte.
In der Kleidertruhe, die sie mit Avas Hilfe inzwischen geordnet hatte, fand sie Ersatz für das Gewand, das sie nie wieder tragen wollte. Sie vergrub es ganz tief unter den übrigen Kleidern, als könnte sie damit auch die Erinnerung an die Geschehnisse der letzten Nacht verstecken. Nur die Furcht konnte sie nicht abwerfen. Sie lauerte dicht unter der Oberfläche ihrer Haut – wie das Wissen, dass sie etwas Unentschuldbares getan hatte.
Was sollte sie tun? So groß ihr Bedürfnis auch war, sich mit einer Beichte von den Sünden der Wollust und des Verrates zu reinigen, sie war klug genug zu begreifen, dass es damit nicht getan sein würde. Sie konnte die Dinge nicht ungeschehen machen, sich nicht wieder in die reine Braut zurückverwandeln, die Paskal Cocherel erwartete. Es würde unausweichlich zu einem Drama kommen.
Sie hatte den gewalttätigen Jähzorn ihres künftigen Gemahls bereits kennen gelernt. Was würde der Herzog mit einer Verlobten anfangen, die es gewagt hatte, seine sorgfältig gesponnenen Pläne im letzten Moment zu durchkreuzen?
Oliviane fürchtete weniger den Tod als den Weg dorthin. Der Herr dieser Festung war kein Mann, der sich für einen solchen Betrug mit einem sauber gezielten Dolchstich rächte. Er liebte es nicht nur, mit der Folter zu drohen. Es bereitete ihm auch höchstes Vergnügen, sie anzuwenden. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass er einen Menschen in ein zitterndes Häufchen Elend verwandeln konnte, das keinerlei Ähnlichkeit mehr mit sich selbst hatte.
Dieser Gedanke flößte ihr mehr Angst ein als der an ihren Tod! Wenn sie schon sterben musste, dann wollte sie es wenigstens als eine Rospordon tun: stolz, aufrecht und mutig, wie es sich für die Mitglieder dieser Familie gehörte. Man würde sie nicht in die Knie zwingen.
»Den Priester? Was zum Henker möchtest du von diesem Pfaffen?«
Der Schwarze Landry maß Ava mit einem Blick, unter dem sie ganz von selbst zurückwich, bis sie die nächste Wand aufhielt. Die Dienerin warf einen gehetzten Blick über die Schulter, und erst als sie sicher sein konnte, dass niemand sonst ihre Worte hörte, wagte sie zu antworten.
»Die Dame de Rospordon hat mich nach ihm geschickt. Sie will beten und beichten. Das ist eine fromme Dame, die unser Herr da zur Frau nimmt. Morgens und abends liegt sie stundenlang auf den Knien! Eine Klosterschwester könnte nicht andächtiger sein ...«
Landry verzichtete darauf, der einfachen Frau mitzuteilen, dass Oliviane, abgesehen von jenem kleinen Umweg über Vannes, direkt aus dem Kloster gekommen war. Er hatte Wichtigeres zu bedenken.
»Beichten?« Er ahnte Böses.
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