Oliviane – Der Saphir der Göttin
irgendwann einmal gereinigt worden.
Drei Tage waren seit dem Jahreswechsel vergangen, und mit jeder Nacht, in der sie sich fast schlaflos zwischen den Laken wälzte, nahmen ihre Furcht und ihre Verwirrung zu. Sie war froh gewesen, als Ava den Priester nicht gefunden hatte, und sie hatte die Magd nicht mehr nach ihm gefragt. Aber sie wusste, dass die Zeit unaufhaltsam verrann.
Sie unterdrückte einen Seufzer und versuchte, die unheimlichen Schatten zu ignorieren, die sie an den Wänden begleiteten. Die eisig-feuchte Kälte drang durch alle Röcke, und der durchdringend scharfe Zugwind verwandelte die Fackeln in zuckende Lichter. Oliviane konnte kaum den Boden unter ihren Füßen erkennen.
Sie ging langsamer, damit sie nicht auf den unebenen Platten strauchelte. In diesem Moment legte sich etwas Dichtes, Schweres, Schwarzes von hinten über ihren Kopf und ihre Arme. Sie öffnete die Lippen, um zu schreien, aber Wolle, Staub und Gewebe drangen in ihren Mund. Ihr Schrei erstickte in einem dumpfen Laut, und sie rang vergeblich mit einer fremden Gewalt, die ihr den Atem aus den Lungen presste, bis sie schlaff in sich zusammensank. Eine hoch gewachsene Gestalt fing sie auf und trug sie davon. Oliviane spürte nichts mehr davon.
Als sie wieder zu sich kam, hatte sie zunächst keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Dann jedoch stürzten die unterschiedlichsten Empfindungen zur gleichen Zeit auf sie ein: rhythmisches Stoßen, das Knirschen eines ledernen Sattels und das Schnauben eines Pferdes, das zu höchster Eile angetrieben wurde. Eiskalte, feuchte Luft, die an Olivianes Wangen vorbeistrich, und eine feste Augenbinde, die verhinderte, dass sie etwas von ihrer Umgebung erkannte.
»Gott im Himmel, Oliviane, wacht auf! Ihr seid in Sicherheit. Komm schon, Mädchen, das hätte mir noch gefehlt, dass du jetzt die Empfindliche herauskehrst ...«
Olivianes Bewusstsein kehrte nur langsam zurück. Warme, energische Hände rieben ihre eisigen Finger, und eine drängende Stimme redete auf sie ein. Die Stimme kommandierte, schalt und schimpfte, als wäre sie ein dummes Kind, das einen Fehler nach dem anderen machte. Mit einem heiseren Protestlaut schlug sie die Augen auf und schaute mitten in das faszinierende Söldnergesicht des Schwarzen Landry. Sie sah verblüfft, wie die Besorgnis in seinen Kohlenaugen einem Ausdruck der Erleichterung wich und er hörbar aufatmete.
»Potzblitz, einen Moment lang fürchtete ich schon, du würdest dich auf höchst unpassende Weise aus dem Staub machen wollen«, knurrte er. »Es hätte mir meine Mühe schlecht gelohnt!«
»Was ... Wo bin ich?«, wisperte sie heiser.
»In Sicherheit«, wiederholte er knapp.
»Das ist nicht meine Kammer«, stellte Oliviane fest und brachte ihre Hände vor seiner reichlich rauen Fürsorge in Sicherheit.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, klemmte die klammen Finger zwischen Oberarm und Oberkörper und sah sich um. Die vier steinernen Wände, die das Reetdach über ihr trugen, gehörten zu einer Bauernkate, so viel konnte sie erkennen. Auf der Feuerstelle, deren Rauch durch die Öffnung im Dach abzog, prasselten glühende Scheite, und neben ihr auf dem Strohsack lagen zwei große gepackte Mantelsäcke.
»Natürlich ist das nicht deine Kammer«, entgegnete Landry unwirsch. »Wir haben die Burg von Cado verlassen. Auf nicht ganz einwandfreie Weise, ehrlich gesagt. Ich entschuldige mich für meine Grobheit, aber es schien mir der einfachste Weg zu sein, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Erklärungen hätten uns nur überflüssig aufgehalten.«
»Ich verstehe nicht«, murmelte Oliviane. »Was meint Ihr mit ›in Sicherheit‹?«
»Niemand wird dich hier finden«, erklärte der Schwarze Landry zufrieden. »Die Kate ist viel zu weit vom Dorf und von der Burg entfernt, und ihre letzten Bewohner haben sie vor vielen Jahren aufgegeben. Vermutlich haben die meisten vergessen, dass es sie überhaupt gibt. Der Wald beschützt dich!«
Oliviane runzelte die Stirn. »Wenn Ihr mich hierher verschleppt – vor wem muss ich denn sonst noch beschützt werden?«
»Welch eine Frage«, polterte der Schwarze noch einen Grad brummiger. »Möchtest du in Kürze mit dem Herzog von St. Cado vor den Altar treten? Möchtest du, dass er in der Hochzeitsnacht dahinter kommt, dass du ihn betrogen hast, noch ehe du in allen Ehren seine angetraute Gemahlin wurdest?«
»O Gott ...«
»In dieser Sache hat wohl eher der Satan seine Hände im Spiel«, verbesserte er sie brüsk.
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