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Oliviane – Der Saphir der Göttin

Oliviane – Der Saphir der Göttin

Titel: Oliviane – Der Saphir der Göttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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ersten Moment nicht bemerkt, dass dieser Mann keinen Bart trug. Auch die eleganten Kleider waren ihr entgangen. Sie hatte einfach nur seine Silhouette erfasst, und ihr Herz war ihm zugeflogen – erleichtert, rasend glücklich und wie von Sinnen! Wie töricht und albern! Eine dumme Ähnlichkeit von Gestik und Haltung hatte sie genarrt!
    »Kind, Ihr seid bleich wie gestockte Milch«, stellte Dame Magali trocken fest. »Was ist los?«
    Olivianes Kehle war wie zugeschnürt. Sie hatte eiskalte Hände, und ihr Herz raste. Der Anblick des fremden Seigneurs hatte eine Tür in ihrem Innern aufgestoßen, die sie sicher verschlossen geglaubt hatte.
    »Nun, ich denke, wir werden den Apotheker für heute warten lassen. Gehen wir nach Hause, das Wetter ist ohnehin nicht dafür geeignet, überflüssige Wege zu machen. Na, kommt schon, Odile, worauf wartet Ihr?« Sie versetzte der jungen Frau einen kleinen Klaps auf den Arm, damit sie sich in Bewegung setzte.
    Allerdings zitterten Olivianes Knie so sehr, dass sie kaum die wenigen Stufen hinunter auf die Straße gehen konnte. Wie blind stolperte sie ihrer davoneilenden Beschützerin nach und stieß prompt mit einem breiten, massigen Bürger zusammen, der keine Anstalten machte, ihr den Weg freizugeben.
    »Ei, wen haben wir denn da? Die schöne Fremde, die unter Mutter Magalis Gluckenflügel gekrochen ist! Gott zum Gruß, reizende Jungfer! Ich habe mich schon gefragt, wann ich Euch wieder sehen werde!«
    Oliviane starrte in das hochrote Gesicht von Maître Crépin, der seine gelben Raubvogelaugen begehrlich auf sie richtete. Auch in diesem Moment fiel ihr die Ähnlichkeit mit Paskal Cocherel auf, und ihre ohnehin strapazierten Nerven drohten ihr vollends durchzugehen.
    »Entschuldigt, Monsieur!« Sie fuhr so heftig vor ihm zurück, dass sie fast rückwärts auf die Stufen der Kathedrale gefallen wäre. »Ich habe nicht aufgepasst ...«
    »Je nun, ich mag es, wenn man mich nicht vergisst, mein Kätzchen ...«
    »Das reicht, Maître Crépin!«
    Wie eine Rachegöttin baute sich Dame Magali vor dem Bürger auf. »Wenn Ihr jetzt schon damit anfangt, ehrbare Jungfern zu beleidigen ...«
    »Ehrbare Jungfern?«, schnaufte der Weinhändler, und sein Gesicht wurde noch eine Nuance röter, ehe er vollends loslegte: »Ei, wem wollt Ihr denn dieses Märchen erzählen? Die da ist eine Dirne, auch wenn Ihr sie in feine Kleider hüllt!«
    »Hütet Eure Zunge!«, fauchte Dame Magali entrüstet. »Wollt Ihr achtbaren Bürgersfrauen zu nahe treten? Wagt Ihr es, das Wort der Amme Seiner Gnaden in Frage zu stellen? Dieses Mädchen ist meine Nichte, sie hat ein Anrecht auf Euren Respekt!«
    Maître Crépin überlegte sich seine Antwort im letzten Moment. Trotz des miserablen Wetters hatte der unverhoffte Streit viele neugierige Zuhörer herbeigelockt. Auch die Edelmänner zügelten ihre Pferde, denn die wütende Dame in der hohen weißen Haube, die den rotbackigen Händler herunterputzte, bot ein Spektakel, das man auch in Rennes nicht alle Tage zu sehen bekam.
    Hervé de Sainte Croix griff nur in die Zügel, weil es auch die anderen taten. Seine Augen unter der breiten Kante des Baretts glitten eher gleichgültig über die Köpfe der Menschen hinweg, als das Gleißen einer goldenen Haarsträhne mit einem Mal seine Aufmerksamkeit erregte. Wie gebannt starrte er auf die schmale weiße Hand, die die Locke nun wieder unter die Kapuze steckte. Die junge Frau wandte ihm den Rücken zu. Offensichtlich hatte sie mit dem Streit zu tun, der sich anbahnte.
    »Bei Gott, Ihr missversteht mich, Dame Magali!« vernahm er nun die schrille Stimme des Weinhändlers. »Ich wollte Eurer verehrten Nichte keineswegs zu nahe treten. So viel Schönheit, so viel Ehrbarkeit ...«
    Die Nichte von Dame Magali de Silvestre! Der Reiter stieß den angehaltenen Atem aus. Demnächst würde es noch einem Sonnenstrahl gelingen, ihn zum Narren zu halten. Er zuckte die Schultern und winkte seinen Begleitern, ihm zu folgen, denn er hatte nicht die Absicht, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen.
    Was er von der Amme seines Herzogs gehört hatte, ließ ihn zudem annehmen, dass sie selbst imstande sein würde, sich gegen diesen grässlichen Kerl dort zu wehren. Und wirklich, Hervé de Sainte Croix schmunzelte, als er beobachtete, wie der Kerl jetzt katzbuckelnd das Weite suchte.
    »Nun reg dich nicht auf!« Dame Magali fasste nach Olivianes eiskalten Fingern. »Dieser Mensch ist es nicht wert, dass du dich seinetwegen kränkst.

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