Oliviane – Der Saphir der Göttin
sofern es überhaupt existiert, eher gegen die eigene Person als gegen andere richtet. Ihr braucht dringend einen Menschen, der Euch davor bewahrt, Euch selbst zu zerstören! Weshalb hasst Ihr Euch nur so sehr?«
»Vielleicht habe ich etwas Schreckliches, Unverzeihliches getan?«
»Dann werdet Ihr vermutlich einen triftigen Grund dafür gehabt haben!«
Die Amme des Herzogs sah die Schatten, die über ›Odiles‹ Züge flogen, und hatte Mühe, ihre Neugier im Zaum zu halten. Etwas Rätselhaftes und zugleich Anrührendes ging von ihrem Schützling ohne Namen aus.
»Habt keine Angst, ich werde mir nichts antun«, flüsterte das Mädchen und straffte die Schultern, als wäre es ein Ritter, der in das letzte entscheidende Duell ging. »Das wäre der Gipfel der Feigheit und zudem eine Todsünde. Aber wenn Ihr mich schon bei Euch haben wollt, dann gebt mir wenigstens etwas zu tun. Ich ertrage es nicht, müßig die Hände in den Schoß zu legen.«
Die Hausfrau, die ihren Ehrgeiz darein legte, eine der besten von Rennes zu sein, kam dieser Bitte gerne nach. Die Arbeit erlöste Oliviane zwar nicht von ihrem Kummer, aber sie ließ ihr wenigstens kaum Zeit, überflüssigen Gedanken nachzuhängen. Sogar zum Beten fand sie nur noch Muße, wenn sie Dame Magali in die Messe begleitete, welche die Dame bevorzugt in der Kathedrale von St. Pierre zu hören pflegte.
Das mächtige Gotteshaus mit den schweren, gedrungenen Pfeilern und den beiden Zwillingstürmen stand in der Nähe des Tors von Mordelaise. Es wurde, da es die Krönungskirche der bretonischen Herzöge war, regelmäßig auch von Jean de Montfort und seinem Hofstaat aufgesucht.
An diesem Morgen waren sie unter den letzten, welche das Gotteshaus verließen, und es war nicht der Tag, an dem man auf den Stufen der Kathedrale verharrte, um noch einen neugierigen Blick in die Runde zu werfen. Ein heftiger Westwind zerrte an Mänteln und Haubenbändern, trieb alte Blätter und Unrat vor sich her und brachte Zunft- und Wirtshausschilder zum Tanzen. Graue Wolken segelten so knapp über die Schieferdächer der Stadt, als wollten sie sich daran aufschlitzen und wie aus Eimern den Regen freigeben, den sie mit sich trugen.
»Meine Güte, welch ein Sturm!«, schnaufte Dame Magali und hielt ihre Haube mit der rechten Hand fest. »Kommt, Kind, ich muss noch beim Apotheker in der Rue du Griffon vorbeigehen. Wir brauchen frisches Kampferpulver und getrocknete Minze. Ich möchte zu gerne wissen, ob ...«
Sie bemerkte mit einem Mal, dass Oliviane ihr überhaupt nicht zuhörte. Neugierig folgte sie deren faszinierten Blicken. Was fesselte die Aufmerksamkeit des sonst so stillen Mädchens dermaßen, dass es nichts anderes um sich herum wahrnahm?
Sie entdeckte eine Gruppe von Edelleuten, die sich hoch zu Ross von der Porte de Mordelaise her näherte, ein halbes Dutzend prächtig gekleideter Seigneurs, an deren Samtbaretts Federn wippten und auf deren Waffenröcken goldene gestickte Wappen glitzerten.
»Wer ...« Oliviane räusperte sich. »Wer sind diese Männer?«
»Mitglieder des Rates Seiner Gnaden«, erklärte Dame Magali bereitwillig. »Gefährten seines Kampfes und seines Sieges. Ist es ein Bestimmter, der Eure Aufmerksamkeit erregt?«
Oliviane konnte nicht mehr sprechen. Sie konnte nur auf den jungen Seigneur deuten, der in lässiger Selbstverständlichkeit auf einem temperamentvollen schwarzen Hengst saß und ihn mit einer einzigen Hand bändigte.
Er trug einen königsblauen Waffenrock mit einem silbergestickten Wappen, das in einer Hälfte das Kreuz und in der anderen einen federgeschmückten Helm zeigte. Die Juwelen an seinem Schwertknauf glitzerten, und sein Barett trug, im Gegensatz zu denen der anderen Männer, keine Feder, sondern nur eine schwere Goldbrosche, deren Diamantverzierung weithin leuchtete.
»Einer der besten Freunde Seiner Gnaden«, stellte Dame Magali den beeindruckenden Ritter vor. »Hervé de Sainte Croix, der Seigneur von Etel und Herbignac, ein prächtiger Kämpfer. Männern wie ihm haben wir es zu verdanken, dass in unserer Heimat endlich Frieden herrscht. Soweit ich weiß, war er lange Zeit als Gesandter am Hofe des französischen Königs, um dort die Sache der Montforts zu vertreten.«
Oliviane starrte auf den Reiter, obwohl sein Bild längst vor ihren Augen verschwamm. Sie musste verrückt sein, wahnsinnig! Aber für einen winzigen Augenblick hatte sie tatsächlich geglaubt, der Schwarze Landry sei von den Toten auferstanden!
Sie hatte im
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