Oliviane – Der Saphir der Göttin
nicht wissen konnte. Sie ließ tatsächlich ihre Launen an ihm aus, weil er sie aus unerklärlichen Gründen dazu reizte. Wann würde sie endlich gescheit werden?
Sie strich sich mit einer müden Bewegung über die Stirn und machte in der unverwechselbar spöttischen Art, die ihr eigen war, einen Rückzug. »Entschuldigt meine Gemütslage. Aber ich begleite Euch natürlich, wenn Ihr solchen Wert auf meine Gesellschaft legt!«
Sie hörte, dass er leise fluchte, aber er trat einen Schritt näher und hielt ihr den ausgestreckten Arm entgegen. Oliviane erhob sich, um ihre Hand auf diesen Arm zu legen. Sie wusste, wie sich eine Dame zu benehmen hatte, auch wenn ihre praktischen Erfahrungen auf diesem Gebiet gleich Null waren. Doch in dem Moment, in dem ihre Finger den Stoff seines Gewandes berührten, schien ein Funke zwischen ihnen hin- und her zu springen.
Ihre Hand zuckte zurück, und im flackernden rötlichen Schein der Flammen sah sie zum ersten Mal aus unmittelbarer Nähe in das markant geschnittene Männergesicht, aus dem sie unter buschigen dunklen Brauen tiefschwarze Augen ansahen. Gütiger Himmel, jetzt verlor sie vollends den Verstand! Wie gelähmt stand sie unter seinem Blick da, der auf eine so kühle, distanzierte Weise verächtlich wirkte, dass sie um ihre Fassung rang.
Er hatte auch die Augen des Schwarzen Landry! Aber jene hatten sie spöttisch, ungeduldig, liebevoll, verärgert, leidenschaftlich, wütend oder fassungslos angesehen. Nie jedoch auf diese abwertende, geringschätzig-arrogante Weise, die ihr den Atem nahm.
»Ich beiße Euch nicht«, sagte er eher beiläufig und griff nach ihrer Hand, um sie wieder auf seine geballte Faust zu legen. Oliviane wusste, dass er das Zittern spürte, das sie nicht unterdrücken konnte.
Es war ihr Gewissen, das ihr diesen bösen Streich spielte, das ihr etwas vorgaukelte, was sie für immer verloren hatte. Vermutlich würde sie künftig an jedem Mann Eigenschaften entdecken, die sie an Landry geliebt hatte. Vielleicht war das die schmerzlichste Strafe, die der Himmel über sie verhängte. Sie stieß bebend den Atem aus und schlug die Augen nieder, während sie mit der anderen Hand ihre Röcke raffte. Ein unmerklicher Ruck ging durch ihre Gestalt.
Einmal mehr sah sich der Seigneur gezwungen, ihre unverwechselbare Haltung zu bewundern. Er konnte fühlen, dass sie litt, aber ihr unbeugsamer Stolz hielt sie sogar in diesem Moment aufrecht. Mit blassem Gesicht und so kerzengerade, als ginge es in eine Schlacht, schritt sie schweigend an seiner Seite durch die festlich geschmückte Halle, in der der Herzog mit den Damen und Herren seines Hofes tafelte.
Beide teilten einen großen Teller, wie es bei Hofe üblich war. Oliviane nahm mechanisch die Bissen, die ihr Hervé de Sainte Croix mit einem silbernen Tafeldolch abschnitt und reichte. Sie schmeckte keinen Unterschied zwischen Braten, köstlichen Pasteten und raffiniert gewürzten Beilagen. Auf ihrer Zunge wurde alles zu Stroh, und nur ein reichliches Quantum Wein trug dazu bei, dass sie die geschmacklose Masse schlucken konnte.
Dafür war sie sich seiner nervenaufreibenden Gegenwart ständig bewusst. Er wich ihr auch nicht von der Seite, als die Tafel aufgehoben wurde und die Gaukler von den Musikanten abgelöst wurden.
»Es hieße, Eure Besorgnis um mein Wohlergehen zu übertreiben«, lehnte sie es schroff ab, mit ihm zu tanzen.
»Noch seid Ihr keine Nonne«, erinnerte er sie sarkastisch. »Es ist nicht nötig, dass Ihr bereits nach Klosterregeln lebt!«
»Aber ich beabsichtige auch nicht, nach Euren Regeln zu leben«, fauchte sie mit mühsam gezügeltem Zorn zurück. »Warum fordert Ihr nicht die Edeldame auf, die neben mir am Tisch saß. Sie schien mir krank vor Sehnsucht nach einem hübschen Ritter zu sein ...«
»Danke für das Kompliment, aber schmachtende Frauen sind schrecklich langweilig«, entgegnete er ruhig.
»Ich hatte nicht die Absicht, Euch zu schmeicheln«, zischte Oliviane. »Ich gab lediglich die Ansicht dieser Dame wieder. Wenn Ihr es genau wissen wollt: Ich persönlich finde wenig Schmeichelhaftes an Eurer Person!«
Sein nobel gezeichneter Mund verzog sich zu einem belustigten Lächeln, das zwei Reihen prächtig weißer Zähne freigab und Olivianes Herzschlag endgültig aus dem Takt brachte.
»Mir scheint, Ihr habt eher die Absicht, Euch den nächstbesten harten Gegenstand zu suchen, um ihn mir über den Kopf zu ziehen, damit ich Euch nicht länger im Wege bin«, sagte er so gelassen,
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