Oliviane – Der Saphir der Göttin
als handelte es sich um das Angebot, am nächsten Morgen mit ihm auf die Jagd zu reiten.
Oliviane wankte unter dem unerwarteten Hieb. Sie schloss gequält die Augen. Er mochte einen seiner bitteren Scherze gemacht haben, aber er hatte sie mitten ins Herz getroffen.
»Ihr wisst nicht, was Ihr sagt«, murmelte sie und hob den Blick.
Hervé de Sainte Croix bemühte sich, in den samtigen braunen Tiefen ihrer Augen zu lesen. Er suchte den unbeugsamen Stolz, aber er fand etwas anderes – etwas Unbekanntes, das eine Saite seines Herzens anschlug, von deren Existenz er bisher keine Ahnung gehabt hatte. Es waren rätselhafte Augen, die ihn wider Willen in ihren Bann zogen, die seinen Verstand lähmten und ihn Dinge tun ließen, die er besser unterlassen hätte.
Wie von selbst hob sich seine Hand und strich mit prüfenden Fingerkuppen über die seidige Wölbung ihrer kühlen Wange. Wie schön sie war, wie unglaublich weich ihre Haut! In diesem Moment erschien Oliviane ihm wie die pure Verführung. Sie waren sich beide der Blicke nicht bewusst, die sie streiften. Sie hatten vergessen, dass sie sich in der Banketthalle des Herzogs befanden.
Oliviane erholte sich als Erste von der Verzauberung. Vielleicht weil sie sich der Gefahr noch eher bewusst gewesen war. Sie raffte panisch ihre Röcke und lief so flink aus dem Saal, dass sie bereits über die nächste Treppe verschwunden war, als der Seigneur de Sainte Croix ihr nacheilte, als hätte sie ihn bestohlen. Doch er holte sie nicht mehr ein.
21. Kapitel
»Ich werde Euch besuchen! Ja, ich werde Euch besuchen, sobald die Straßen einigermaßen trocken sind. Ich habe diese Stadt noch nie verlassen, aber für Euch werde ich es tun, mein Kind!«
Dame Magali schnaufte bei dieser energischen Rede und löste sich aus der Umarmung, mit der sie Oliviane umfangen gehalten hatte. »Man sieht in Vannes das Meer, nicht wahr?«, suchte sie nach einem Thema, das sie von ihrer Rührung ablenken sollte. »Ich freue mich darauf, es einmal zu sehen. Ihr werdet dort glücklich sein, ich spüre es. Gehorcht dem Herzog, und Ihr werdet es nicht bereuen!«
Oliviane war mit den Gezeiten des Meeres aufgewachsen, das gegen die Hafenmolen der alten Stadt von König Nominoë schlug. Für einen Moment wurde sie von der Erinnerung überwältigt. Das festungsähnliche Haus, das die Mauern von Vannes bewachte, war vom Salzhauch der See durchdrungen gewesen, und das kleine, einsame Mädchen hatte die Schreie der Seevögel früher unterscheiden gelernt als die Worte der Menschen.
»Ich werde nur für ein Jahr dort bleiben«, kehrte sie mit ihren Gedanken in die Wirklichkeit zurück. »Danach darf ich mich endlich in ein Kloster zurückziehen, Seine Gnaden hat es mir erlaubt.«
»Welch närrische Idee!«, hielt Dame Magali mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg. »Er wird Euch hoffentlich bis dahin mit einem bedeutenden Edelmann verheiraten und dafür sorgen, dass Ihr die Schatten der Vergangenheit vergesst! Das Kloster ist eine fixe Idee von Euch. Ich freue mich darauf, Eure Kinder im Arm zu halten!«
»Ihr täuscht Euch«, entgegnete Oliviane so traurig, dass die Amme des Herzogs unwillkürlich schwieg. »Ich habe ein Leben zerstört, und es ist nur gerecht, dass ich dafür büße.«
»Gerecht!« entrüstete sich Dame Magali und schüttelte die schweren Brokatfalten ihre Übergewandes, als könnte sie mit dem Staub auch ihre Empörung abstreifen. »Es ist sicher gottgefällig, dass Ihr diese Tat bereut, mein Kind, aber seien wir doch einmal ehrlich: Es hat einen Schurken getroffen, um den es nicht schade ist. Manchmal müssen auch Frauen schlimme Dinge tun, um sich und ihre Anliegen zu verteidigen.«
Vor Olivianes traurigen Augen tauchte das bärtige Gesicht des Schwarzen Landry auf. Sein Lächeln, in dem weiße Zähne schimmerten, der flirrende Spott seines Blickes. Ein Halunke? Möglicherweise – aber einer, dessen Zärtlichkeiten für alle Ewigkeiten ihre Spuren in Olivianes Herzen hinterlassen hatten.
»Nun denn, wann werdet Ihr aufbrechen?«, riss Dame Magali sie aus ihrem traurigen Grübeln, als sie begriffen hatte, dass Oliviane ihr nicht antworten würde.
»Morgen, nach der ersten Messe«, entgegnete die junge Frau, und ihre Blicke flogen über die Reisetruhen, die aus heiterem Himmel in ihrem Gemach aufgetaucht waren. Sie waren bis an den Rand mit allen Notwendigkeiten gefüllt, die der Herzog für eine junge Edeldame für unverzichtbar hielt. Der Umstand, dass Oliviane nichts von ihm
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