Olympos
stößt Helena in den tiefsten Schatten der zerbrochenen Wand und stellt sich mit gezogenem und erh o benem Schwert auf die uneinsehbare Seite der Öffnung zu dem kreisrunden Treppenschacht.
Ada hört das Schlurfen von Sandalen auf der Treppe.
Ein Mann, den Ada noch nie gesehen hat – er trägt die Rü s tung und den Umhang der achäischen Fußsoldaten, ist aber nicht so fit und wirkt sanfter als jeder Soldat, den sie unter dem Turin-Tuch jemals gesehen hat –, tritt in den offenen Bereich, wo die Treppe abrupt endet.
Menelaos springt vor, drückt den Mann an die Wand, sodass er die Arme nicht heben kann, und legt die Klinge quer über die Kehle des erschrockenen Eindringlings, bereit, ihm mit einem ei n zigen Schnitt die Drosselvene zu öffnen.
»Nein!«, schreit Helena. Menelaos hält inne.
»Es ist mein Freund Hock-en-bär-iihh.«
Menelaos wartet eine Sekunde, mit entschlossener Miene, den Unterarm angespannt, als hätte er noch immer vor, dem dünn e ren Mann den Hals durchzuschneiden, doch dann zieht er das Schwert des anderen aus der Scheide und wirft es fort. Er stößt den dünneren Mann zu Boden und bleibt breitbeinig über ihm stehen. »Hockenberry? Der Sohn des Duane?«, knurrt Menelaos. »Ich habe dich oft mit Achilles und Hektor gesehen. Du bist mit den Maschinenwesen gekommen.«
Hockenberry?, denkt Ada. So einen Namen hat sie in der Turin-Geschichte noch nie gehört.
»Nein«, sagt Hockenberry und reibt sich sowohl den Hals als auch das angeschlagene nackte Knie. »Ich bin schon jahrelang hier, habe aber immer nur zugesehen – bis vor neun Monaten, als der Krieg gegen die Götter begonnen hat.«
»Du bist ein Freund dieses Hundefickers Achilles«, fährt ihn Menelaos an. »Du bist ein Lakai meines Feindes Hektor, dessen Schicksal mit dem heutigen Tag besiegelt ist. So wie deines … «
»Nein!«, schreit Helena erneut. Sie tritt vor und packt ihren Ga t ten am Arm. »Hock-en-bär-iihh ist ein Liebling der Götter. Und mein Freund. Er ist es, der mir von diesem Turmgeschoss erzählt hat. Und du erinnerst dich doch, dass er Achilles mehrmals u n sichtbar davongetragen hat; mit Hilfe des Medai l lons an seinem Hals kann er wie die Götter selbst reisen.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagt Menelaos. »Aber ein Freund von Achilles und Hektor ist nicht mein Freund. Er hat uns gefu n den. Er wird den Trojanern sagen, wo wir uns verstecken. Er muss sterben.«
»Nein«, sagt Helena zum dritten Mal. Auf Menelaos ’ gebräu n tem, haarigem Unterarm sehen ihre weißen Finger sehr klein aus. »Hock-en-bär-iihh ist die Lösung für unser Problem, mein G e mahl.«
Menelaos starrt sie wütend und verständnislos an.
Helena zeigt auf die Schlacht, die jenseits der Mauern tobt. Die Bogenschützen feuern tödliche Salven von Hunderten, ja Tause n den von Pfeilen ab. Die desorganisierten Achäer branden z u nächst mit Leitern gegen die Mauer an, weichen dann jedoch z u rück, als das Kreuzfeuer der Bogenschützen ihre Re i hen lichtet. Die letzten trojanischen Verteidiger außerhalb der Mauern käm p fen heldenhaft auf ihrer Seite der Pfähle und Gräben – achäische Streitwagen stürzen krachend um, Holz splittert, Pferde schreien in der Nacht, als Pfähle ihre von schäumendem Schweiß bedec k ten Flanken durchbohren –, und selbst die achäerfreundlichen Götter Athene, Hera und Poseidon weichen unter dem berserke r haften Gegenangriff der o bersten Schutzgötter Trojas – Ares und Apollo – zurück. Die violetten Energiepfeile des Herrn des silbe r nen Bogens gehen überall unter den Achäern und ihren unsterbl i chen Verbündeten nieder. Männer und Pferde fallen wie Schös s linge unter der Axt.
»Ich verstehe nicht«, knurrt Menelaos. »Was kann dieser dü r re Bastard für uns tun? Sein Schwert hat nicht einmal eine Schne i de.«
Ohne die Hand vom Unterarm ihres Gatten zu nehmen, kniet Helena anmutig nieder und hebt das schwere goldene Medai l lon an seiner dicken Kette um Hockenberrys Hals hoch. »Er kann uns auf der Stelle zu deinem Bruder bringen, mein Liebling. Er ist u n sere Rettung. Unser einziger Weg aus Ilium he r aus.«
Menelaos kneift die Augen zusammen; offenbar begreift er nun. »Tritt zurück, Weib. Ich schneide ihm den Hals durch, und dann benutzen wir das magische Medaillon.«
»Es funktioniert nur bei mir«, sagt Hockenberry leise. »Selbst die Moravecs mit ihrer fortgeschrittenen Technik konnten es weder duplizieren noch ohne mich benutzen. Das QT-Medaillon ist auf meine
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