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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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erstreckte sich links und rechts in die Ferne, der gefurchte Boden fiel manc h mal zehn, zwölf Meter und mehr ab. Unten waren die beiden Seiten der Kluft nur durch Eisbrücken verbunden, und die Wände strotzten von Stalaktiten und Stalagmiten und wurden über ihm hin und wieder von Br ü cken aus dickem Eis überspannt. Gebäudeteile ragten aus der ei s blauen Matrix und wurden dann wieder verschluckt; er sah he r vortretende Segmente aus Mauerwerk mit kaputten und reifbli n den Fenstern, Bambus-Drei-Türme und Buckyfaser-Überbauungen der ält e ren Gebäude aus dem Untergegangenen Zeitalter darunter; im Griff des blauen Eises waren sie nun alle gleich. Daeman e r kannte, dass er sich auf der Rue de Rambouillet in der Nähe des Garlion-Faxknotens befand, aber sechs Etagen über der Straße, auf der er sein Leben lang zu Fuß und in von V o ynixen gez o genen Droschken und Karriolen unterwegs gewesen war.
    Vor ihm, im Nordosten, sank der Boden der Spalte langsam ab, bis er sich fast auf der ursprünglichen Straßenhöhe befand. D a eman fiel auf dem rutschigen Hang zweimal hin, aber er hatte e i nen der Eishämmer aus dem Rucksack genommen, und beide M a le fing er seinen Sturz mit der gekrümmten Eisenklaue ab.
    Die Eiswände bestanden aus zahllosen Strängen, und Daeman glaubte immer mehr, dass es sich dabei um eine Art lebendes G e webe handelte. Als er unten am Boden der fast siebzig Meter ti e fen Spalte anlangte – das Licht war hell, die Luft brannte noch immer in seinen Lungen –, sah er einen zweiten Spalte n tunnel, der seinen diagonal kreuzte, und erkannte ihn sofort. Avenue Daumesnil. Er kannte dieses Gebiet gut – hier hatte er als Kind g e spielt, als Teenager Mädchen verführt, als Erwachsener mit seiner Mutter zahllose Spaziergänge unternommen.
    Wenn er der anderen Spalte zu seiner Rechten in südöstlicher Richtung folgte, würde sie ihn vom Krater und vom Stadtzen t rum wegführen, hinaus zu dem Wald namens Bois de Vincennes. Aber er wollte das Zentrum von Paris-Krater nicht verla s sen – das Loch war im Nordwesten erschienen, ganz in der Nähe des Domi-Turms seiner Mutter am Krater. Um dor t hin zu gelangen, würde er die Avenue-Daumesnil-Spalte zu dem Bambus-Drei-Marktplatz namens Oprabastel direkt g e genüber von einem uralten Haufen überwachsener Trümmer namens Bastille entlanggehen müssen. Dort hatte er als Junge Stei n schlachten ausgefochten, bei denen die wenigen Kinder aus seinem Domi-Turm die Jungs aus dem Westen mit Steinen und Erdklumpen beworfen hatten. Die J u gendlichen aus seinem Viertel hatten ihren Gegnern den beleid i genden Spitznamen »die radioaktiven Bastilliten« verliehen – w a rum, wusste ni e mand, weder Erwachsene noch Kinder.
    In Richtung Oprabastel schien das blaue Eis dicker und bedro h licher zu sein, aber Daeman erkannte, dass er keine Wahl hatte. Dort, Richtung Krater, hatte er jenen ersten Blick von Setebos e r hascht.
    Der Graben, in dem er sich befand, bog wieder nach Osten ab, bevor er die Avenue Daumesnil kreuzte. Da die größere Spalte so tief war, dass er nicht direkt hinuntersteigen konnte, übe r querte Daeman sie auf einer Eisbrücke. Als er nach unten schaute, sah er die mit Bambus-Drei und Ewigplas versiegelten Ruinen der Str a ße und des Boulevards, die er sein ganzes Leben lang gekannt ha t te, aber der Graben führte noch tiefer hinunter und enthüllte Ru i nenschichten einer alten Stadt aus Stahl und Mauerwerk unte r halb seines vertrauten Paris-Krater. Er sah das schreckliche Bild vor sich, wie der graurosa Gehirn-Setebos mit seinen vielen Hä n den in der Erde scharrte und die Gebeine der Stadt unter der Stadt freilegte. Wonach suchte er? Und dann kam Daeman ein noch schrecklicherer Gedanke. Was wollte er begr a ben?
    Die blauen Stränge und Stalagmiten auf dem regulären Straße n niveau waren so dick, dass er auf der Avenue Daumesnil selbst nicht weiter nach Nordwesten gehen konnte, aber erstaunliche r weise gab es dort unten einen grünen Pfad, der ein Stück weit p a rallel zum Boulevard verlief. Er schlug einen zum Haken gebog e nen Bolzen ins blaue Eis, um seinen zehn Meter tiefen Abstieg zu sichern, schlang ein Seil darüber und ließ sich vorsichtig hinab. Ihm war klar, dass ein gebrochenes Bein jetzt wahrscheinlich se i nen Tod bedeuten würde. In der Nähe des Bodens war ein eisiger Überhang, sodass er die letzten drei Meter am frei in der Luft hängenden Seil zu dem absurderweise grasbewachsenen Boden des Grabens

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