Olympos
und stieg dann fast senkrecht nach oben.
Daeman setzte sich hin – er spürte, wie die Kälte durch seine Kleidung und die Thermohaut zu seinem Hintern vordrang – und holte eine Wasserflasche aus seinem Rucksack. Nach dem stu n denlangen Faxen und den nervösen Konfrontationen mit angste r füllten Menschen war er erschöpft und ausgetrocknet. Er hatte sein Wasser rationiert, aber diese Flasche war noch halb voll. A l lerdings spielte es keine Rolle, weil das Wasser steinhart gefroren war. Er steckte die Flasche in seinen Kittel, direkt an die molek u lare Thermohaut, und betrachtete die Ei s wand.
Sie war nicht vollständig glatt – das war das blaue Eis ni r gends. Überall gab es Furchen, und hier verliefen einige auf eine Weise horizontal und diagonal, dass er glaubte, darin Halt für Finger oder Füße finden zu können. Die Wand stieg mi n destens dreißig Meter nach oben, wobei sie langsam aus der Senkrechten kippte, bis sie oben aus dem Blickfeld entschwand. Allerdings schien das Sonnenlicht dort stärker zu sein.
Er holte die beiden Eishämmer aus seinem Rucksack, die er sich an dem langen Vortag von Reman hatte schmieden lassen. D a eman hatte das Wort »Hammer« noch nie gehört, bevor er es aus einem von Harmans alten Büchern gesiglt hatte. Hätte er es vor dem Absturz gehört, hätte ihn der Gedanke an ein solches Wer k zeug zu Tode gelangweilt. Menschen benutzten keine Werkzeuge. Jetzt hing sein Leben von solchen Dingen ab.
Die beiden Hämmer waren jeweils fünfunddreißig Zentimeter lang. Eine Seite des Hammers war gerade und spitz, die andere gebogen und gezackt. Reman hatte ihm geholfen, die Griffe fest mit kreuzweise geripptem Leder zu umwickeln, sodass er sich sogar mit seinen Thermohaut-Handschuhen daran festhalten konnte. Die Spitzen waren ebenfalls so gut geschärft worden, wie es Hannahs Schleifstein in Ardis erlaubte.
Daeman stand auf, legte den Kopf in den Nacken und zog sich die Osmosemaske fester über Mund und Nase. Er schnallte sich den Rucksack wieder um, vergewisserte sich, dass der Riemen der Armbrust straff über seiner linken Schulter hing – die schwere Waffe lag diagonal über dem Rucksack auf seinem Rücken –, dann hob er einen der Hämmer, schlug ihn erst ei n mal, dann ein zweites Mal ins Eis und zog sich einen Meter die Wand hinauf. Der Tunnel war nicht viel breiter als der Haup t kamin in Ardis, und Daeman verspreizte sich darin mit einem gestreckten Bein und drückte das linke Knie gegen die Eiswand, um sich eine M i nute auszuruhen. Dann hob er den zwe i ten Hammer, so hoch er konnte, und schlug ihn ebenfalls ins Eis, zog sich hoch, bis er an diesem Hammer hing, und stützte sein Gewicht auf den anderen. Nächstes Mal, dachte er, montiere ich mir ein paar spitze Nägel an die Stiefel.
Er rang nach Luft und lachte über die Vorstellung, dies ein zwe i tes Mal zu machen. Während sein Atem sogar durch die filternde Osmosemaske hindurch die Luft vereiste und sein Rucksack ihn von seinem unsicheren Sitz zu ziehen drohte, hackte und schlug Daeman kleine Tritte ins Eis, zog sich hoch, zwängte die Stiefe l spitzen hinein, schlug den rechten Hammer wieder ein Stück we i ter oben ein, zog sich hoch, hackte mit dem linken Tritte für die Füße. Nachdem er weitere sieben Meter geschafft hatte, hängte er sich an beide ins Eis eingebettete Hämmer und lehnte sich zurück, um im Eiskamin nach oben zu schauen. So weit, so gut, dachte er. Nur noch zehn bis fünfzehn solche Klimmzüge, und ich bin bei der Bi e gung dreißig Meter über mir. Ein anderer Teil von ihm flüsterte: und stelle fest, dass es eine Sackgasse ist. Und ein noch dunklerer Teil murmelte: oder du fällst hinunter und stirbst. Er schüttelte all die Stimmen aus se i nem Kopf. Seine Arme und Beine begannen vor Anspannung und Müdigkeit zu zittern. Beim nächsten Halt wü r de er einen tieferen Tritt ins Eis hauen, damit er sich leichter au s ruhen konnte. Falls er durch den Eiskamin zurückmusste, hatte er das Seil in seinem Rucksack. Bald würde er wissen, ob er genug eingepackt hatte.
Über dem Eiskamin verlief der Tunnel für rund zwanzig M e ter wieder waagerecht, gabelte sich noch zweimal und öffnete sich dann zu einer canyonbreiten Spalte im blauen Eis. Daeman packte die Eishämmer mit zitternden Händen ein und machte die Ar m brust bereit. Als er die Einmündung zur breiten Spalte erreichte, blickte er nach oben und sah helles nachmittägliches Sonnenlicht und blauen Himmel. Die Spalte
Weitere Kostenlose Bücher