Olympos
Pistole bei sich getragen hatte, als sie sich ke n nen lernten, die erste Feuerwaffe, die Harman jemals zu Gesicht bekommen hatte. Diese Version von Savi – Moira, Miranda, Moneta – hingegen war, das wusste er mit hundertprozentiger Sicherheit, bei ihrer ersten B e gegnung nicht bewaffnet gewesen.
»Was ist geschehen, seit ich eingeschlafen bin, Prospero?«, fragte Moira.
»Du wünschst einen Überblick über vierzehn Jahrhunderte in ebenso vielen Sätzen, meine Liebe?«
»Ja. Bitte.« Moira zerteilte die saftige Orange und reichte eine der Spalten Harman, der sie aß, ohne etwas zu schmecken.
» › Der Hain verwelkt ‹ «, intonierte der Magier, » › der Hain ve r welkt und dorrt,
Die Dünste weinen ihre Last zur Erde,
Der Mensch bestellt das Feld und sinkt ins Grab,
Nach manches Sommers Freude stirbt der Schwan.
Nur mich verzehrt grausam Unsterblichkeit:
Ich welk ’ in deinen Armen langsam hin,
Hier an dem stillen Grenzbezirk der Welt,
Mit weißem Haar, ein Schatten, der durchschweift,
Gleich einem Traum, des Ostens stummes Reich,
Der Nebel Flor, des Morgens goldne Hallen. ‹ «
Er neigte den Kopf mit dem schütteren, grauen Haar ein Stück.
» › Tithonius ‹ «, sagte Moira. »Von Tennyson vor dem Frü h stück bekomme ich immer Bauchweh. Sag mir, ist die Welt schon g e sund geworden, Prospero?«
»Nein, Miranda.«
»Sind die Angehörigen meines Volkes also alle tot oder zu Wechselbälgern geworden, wie du behauptest?« Sie aß Weintra u ben und wohlriechenden Käse und trank Eiswasser aus einem großen Kelch, den die schwebenden Servitoren immer wieder nachfüllten.
»Sie sind tot oder zu Wechselbälgern geworden oder beides.«
»Kommen sie wieder zurück, Prospero?«
»Das weiß nur Gott allein, meine Tochter.«
»Verschone mich bitte mit Gott«, sagte Moira. »Was ist mit Savis neuntausendeinhundertdreizehn Juden? Sind sie aus der Neutr i noschleife herausgeholt worden?«
»Nein, meine Liebe. Alle Juden und Rubikon-Überlebenden in diesem Universum sind nach wie vor ein blauer Strahl, der von Jerusalem aufsteigt, sonst nichts.«
»Dann haben wir unser Versprechen nicht gehalten, nicht wahr?« Moira schob ihren Teller weg und wischte sich Krümel von den Händen.
»Nein, Tochter.«
»Und du, Vergewaltiger«, wandte sie sich an den verständni s los dreinblickenden Harman, »hast du noch ein anderes L e bensziel in dieser Welt, als die Lage schlafender fremder Frauen auszunu t zen?«
Harman öffnete den Mund, um darauf zu antworten, aber da ihm keine Erwiderung einfiel, schloss er ihn wieder. Ihm war speiübel.
Moira berührte seine Hand. »Mach dir keine Vorwürfe, mein Prometheus. Dir blieb kaum etwas anderes übrig. Die Luft im I n nern des Sarkophags war mit einem so starken Aphrodisi a kum versetzt, dass Prospero es sogar einem der ursprünglichen Wec h selbälger mitgegeben hat – Aphrodite selbst. Zum Glück für uns beide sind seine Wirkungen zeitlich eng begrenzt.«
Eine Woge der Erleichterung überlief Harman, gefolgt von Zorn. »Du meinst, ich hatte keine Wahl?«
»Nicht, wenn du die DNA von Ahman Ferdinand Mark A lonzo Khan Ho Tep in dir trägst«, sagte Moira. »Wie wohl alle männl i chen Angehörigen deiner Gattung.«
Sie wandte sich wieder Prospero zu. »Wo ist Ferdinand Mark Alonzo? Oder vielmehr, was ist aus ihm geworden?«
Der Magier neigte den Kopf. »Meine geliebte Miranda, drei Ja h re, nachdem du dich in den Faxschleifen-Sarkophag gelegt hast, ist er an einer der hoch gefährlichen Varianten des Rubikon g e storben, die jedes Jahr so sicher wie ein sommerlicher Zephir durch die alte Bevölkerung fegten. Er wurde in einem gläsernen Sarkophag neben deinem beigesetzt – obwohl die Fax-Ausrüstung damals nur verhindern konnte, dass sein Leichnam verweste, weil die Klinik-Tanks noch nicht gelernt hatten, mit dem Rubikon fe r tig zu werden. Bevor die Bottiche sich fortbilden konnten, besti e gen zwanzig Kalifats-Mandroiden den Mount Everest, umgingen die Sicherheitsabschirmungen und begannen, das Taj zu plü n dern. Ihre erste Beute war der schwere Sarg des armen Ferdinand Mark Alonzo – sie warfen ihn über den Rand.«
»Weshalb haben sie mich nicht hinuntergeworfen?«, fragte Moira. »Oder ihren Raubzug beendet? Mir ist aufgefallen, dass all die Achate, Jaspisse, Blutjaspisse, Smaragde, Lapislazulis, Karne o le und anderen Schmucksteine an den Kuppel- und Lab y rinthwänden noch da sind.«
»Caliban ist hergefaxt und hat die zwanzig
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