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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sich aufzunehmen; die Nanotech-Funktion ließ die Daten aus den Büchern über die Arme ins Gehirn strömen wie Kohle, die in e i nen Schüttgutbehälter geschaufelt wurde, ohne das langsame Vergnügen und den Ko n text des Lesens. Und wenn Harman ein Buch gesiglt hatte, stellte er immer fest, dass zwar neue Daten eingetroffen waren, der Bedeutungsgehalt des Buches jedoch w e gen des Fehlens von Nuancen und Kontext zu großen Teilen ve r loren gegangen war. Er hatte beim Sigln nie eine Stimme in se i nem Kopf gehört und sich oft gefragt, ob die Funktion für die Altmenschen im Untergegangenen Zeitalter dazu gedacht gew e sen war, Tabellen voller trockener Informationen, Pakete vorve r dauter Daten in sich aufzunehmen. Sigln war nicht die richtige Methode, um einen Roman oder ein Theaterstück von Shak e speare zu lesen – obwohl das erste Shakespeare-Stück, das Harman gelesen hatte, ein erstaunliches und bewegendes Werk namens Romeo und Julia gewesen war. Bis dahin hatte er nicht g e wusst, dass es so etwas wie »Theaterstücke« gab – die einzige Form fiktionaler Unterhaltung war das Turin-Drama über die B e lagerung Trojas gewesen, und das auch nur im letzten Jah r zehnt.
    Doch während das Lesen ein langsamer, linearer Strom war und das Sigln wie ein plötzliches Kitzeln des Gehirns, das einen Rüc k stand von Informationen hinterließ, war dieser kristallene Schrein …
     
    Da s Mädchen fing mich ein im Wald
    Darin ich tanzte sorgenlos;
    Si e setzte mich in ihren Schrein,
    Den sie mit goldnem Schlüssel schloss.
     
    Diese Informationen, die Harman erhielt, nahmen nicht den Weg durch seine Augen, Ohren oder einen der anderen menschlichen Sinne, die die Natur entwickelt hatte, um Daten zu den Nerven und zum Gehirn zu transportieren. Genau g e nommen wurden sie auch nicht durch Berührung übertragen, obwohl die Milliarden Milliarden Nadelstiche von Informationen in der goldenen Flü s sigkeit durch jede Pore seiner Haut und jede Zelle seines Fleisches eindrangen.
    Die DNA, das wusste Harman jetzt, hat eine Vorliebe für das normale Doppelhelix-Modell. Die Evolution hatte die Doppe l helix aus einer Vielzahl von Gründen gewählt, um ihre heiligste Fracht zu transportieren, aber in erster Linie, weil sie die freie Energie bei der Festlegung der Falten, Verbindungsstellen, Formen und Fun k tionen solcher Makromoleküle wie Proteine, RNA und DNA auf die einfachste und effektivste Weise hin und her fließen lässt. J e des chemische System strebt nach dem Zustand mit der gering s ten freien Energie, und freie Energie wird minimiert, wenn sich zwei komplementäre Nukleotidenstränge wie eine doppelte Sh a ker-Treppe paaren.
    Aber die Nachmenschen hatten beim Umbau der Hardware und Software von Harmans Zweig des Altmenschengenoms auch e i nen beträchtlichen Prozentsatz der redundanten DNA in den Körpern der Angehörigen seiner dekantierten Gattung umgebaut. Anstelle der rechtsdrehenden B-DNA hatten die Nachmenschen ihnen linksdrehende Z-DNA-Doppelhelixe von normaler Größe – ungefähr zwei Nanometer Durchmesser – eingesetzt. Auf den Grundpfeilern dieser Z-DNA-Moleküle e r richteten sie ein Gerüst komplexerer DNA-Helixe, wie zum Be i spiel Double-Crossover-Moleküle, und verbanden die Stränge dieser DX-DNA zu u n durchlässigen Proteinkäfigen. Innerhalb dieser Abermilliarden durch Gerüste abgestützter Proteinkäfige tief in Harmans Kn o chen, Muskelfasern, Darmgewebe, Testikeln, Zehen und Haa r wurzeln befanden sich biologische Em p fangs- und Organisations-Makromoleküle, die noch komplex e ren umschlossenen Clustern nanoelektronischer organischer Datenspeichercluster dienten.
    Harmans gesamter Körper – jede Zelle – verleibte sich die aus einer Million Bücher bestehende Bibliothek des Taj Moira ein.
     
    Aus hellem Gold ist dieser Schrein
    Und Perlen und Kristall gemacht
    Und öffnet sich in eine Welt
    Und eine kleine Mondennacht.
     
    Der Prozess war schmerzhaft. Ungeheuer schmerzhaft. Ertru n ken und in der goldenen Flüssigkeit des kristallenen Schreins mit dem Bauch nach oben treibend wie ein toter Karpfen, empfand Harman einen Schmerz, als würde ein eingeschl a fenes Bein oder ein eingeschlafener Arm nun langsam wieder erwachen – als würde die Gliedmaße von zehntausend spitzen, he i ßen Nadeln gepiekt. Aber es war nicht nur sein Bein oder sein Arm. Zellen in jedem Teil seines Körpers, Zellen auf jeder inn e ren und äußeren Oberfläche, Moleküle im Kern und in der Wand jeder

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