Olympos
in Häuser und Baracken für die über vierhundert Menschen umzuwandeln, die jetzt auf dem Anwesen lebten.
Wo ist Harman? Ada hatte stundenlang versucht, den bohre n den Gedanken zu verdrängen, indem sie sich einem Dutzend häusl i cher Aufgaben widmete, aber jetzt konnte sie ihre B e sorgnis nicht mehr ignorieren. Ihr Geliebter – »Gatte« lautete das archaische Wort, das Harman gern benutzte – war an diesem Morgen z u sammen mit Hannah, Petyr und Odysseus – der zurzeit darauf bestand, Noman genannt zu werden, »kein Mensch« oder »ni e mand« – kurz nach Tagesanbruch fortg e gangen. Mit einer von einem Ochsen gezogenen, zu einem Ka r ren umgebauten Droschke hatten sie sich auf den Weg durch Wald und Wiesen gemacht, um fünfzehn und mehr Kilometer vom Fluss entfernt Rotwild zu j a gen und weitere verloren g e gangene Rinder zu suchen.
Sie müssten längst zurück sein. Er hat mir versprochen, lange vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen.
Ada kehrte ins Erdgeschoss zurück und ging in die Küche. Jah r hundertelang ausschließlich die Domäne von Servitor en und V o ynixen, die ab und zu Fleisch von ihren Schlachtplätzen brachten, summte die riesige Küche nun von menschlicher A k tivität. An diesem Abend waren Emme und Reman an der Re i he, das Essen zu planen – für gewöhnlich aßen ungefähr fün f zig Personen in Ardis Hall selbst –, und fast ein Dutzend Männer und Frauen ei l ten geschäftig hin und her und buken Brot, bereiteten Salate vor, brieten in dem riesigen alten Kamin Fleisch am Spieß und erzeu g ten allgemein ein wohltuendes Chaos, das sich bald in eine lange Tafel voller Speisen auflösen würde.
Emme fing Adas Blick auf. »Sind sie schon zurück?«
»Noch nicht«, sagte Ada lächelnd und bemühte sich, ihrer Stimme einen völlig sorglosen Klang zu verleihen.
»Die kommen schon noch«, sagte Emme und tätschelte Adas blasse Hand.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Ada ohne Zorn – sie mochte Emme –, weshalb die Menschen zu glauben schienen, sie hä t ten ein größeres Recht, einen zu berühren und zu tätscheln, wenn man schwanger war. »Natürlich. Und ich hoffe, sie bringen e t was Wildbret und mindestens vier der fehlenden Rinder mit … oder noch besser, zwei Ochsen und zwei Kühe.«
»Wir brauchen die Milch«, stimmte ihr Emme zu. Sie tätsche l te Ada erneut die Hand und wandte sich wieder ihren Pflichten am Feuer zu.
Ada schlüpfte hinaus. Für einen kurzen Moment verschlug ihr die Kälte den Atem, aber sie hatte ihr Schultertuch dabei, und nun zog sie es höher um Schultern und Hals. Nach der Wärme in der Küche stach die Kälte wie mit Nadeln in ihre Wangen, und sie blieb einen Moment auf der rückseitigen Te r rasse stehen, damit sich ihre Augen auf die Dunkelheit einste l len konnten.
Zum Teufel damit, dachte sie, hob die linke Hand und rief die Proxnet-Funktion auf, indem sie sich ein grünes Dreieck in e i nem gelben Kreis vorstellte. Sie versuchte nun schon zum fün f ten Mal in den letzten zwei Stunden, die Funktion zu aktivi e ren.
Das blaue Oval formte sich über ihrer Handfläche, aber das h o lografische Bild war noch immer unscharf und krisselig. Harman hatte die Ansicht vertreten, diese gelegentlichen Ausfälle von Proxnet und Farnet, ja sogar der alten Suchfunktion, hätten nichts mit ihren Körpern zu tun – die Nanomaschinen befänden sich nach wie vor in ihren Genen und ihrem Blut, ha t te er mit einem Lachen gesagt –, sondern wohl eher mit den Satelliten und Relais-Asteroiden im P-Ring oder im Ä-Ring; vielleicht verursachten die nächtlichen Meteoritenschauer i r gendwelche Störungen. Als Ada nun zum dunkler werdenden Abendhimmel hinaufschaute, sah sie den Polarring und den Äquatorialring, die sich wie zwei e i nander kreuzende Lich t bänder verschoben und drehten; jeder Ring bestand aus Tausenden leuchtender Objekte. Fast ihre ga n zen siebenundzwanzig L e bensjahre hindurch hatten die Ringe eine beruhigende Wirkung auf sie ausgeübt – sie waren die freundliche Heimat der Klinik gewesen, in der ihre Körper an j e dem Zwanziger erneuert wu r den, die Heimat der Nachmenschen, die über sie wachten und zu denen sie am Fünften und letzten Zwanziger auffahren würden –, doch wie Ada nun dank Harmans und Daemans dortigen Erlebnissen wusste, gab es gar keine Nachmenschen in den Ringen; sie stellten vielmehr eine schreckl i che Bedrohung dar. Der Fünfte Zwanziger war all diese langen Jahrhunderte hindurch eine Lüge gewesen
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