Olympos
flüchtig interessierte.
»Morgen früh, Ada Uhr. Und Harman Uhr und die anderen kommen bestimmt bald zurück. Im Licht der Ringe und der Ste r ne finden sie mühelos den Weg.«
»O ja, natürlich«, rief Ada. Dann fügte sie wie aus einem nac h träglichen Einfall heraus hinzu: »Hast du Daeman Uhr g e sehen?«
Loes wischte sich die Stirn ab, sprach leise mit einem der and e ren Männer, der sofort loslief, um Feuerholz zu holen, und rief dann herunter: »Daeman Uhr ist heute Abend nach Paris-Krater aufgebrochen, erinnerst du dich? Er holt seine Mutter nach Ardis Hall.«
»Ah ja, natürlich.« Ada biss sich auf die Lippen, konnte sich aber nicht verkneifen zu fragen: »Ist er vor Einbruch der Du n kelheit losgegangen? Ich will es jedenfalls hoffen.« Die Angriffe der Vo y nixe zwischen Ardis und dem Faxknoten hatten in den letzten Wochen zugenommen.
»O ja, Ada Uhr. Er hatte noch reichlich Zeit, um bis zum Ei n bruch der Dunkelheit beim Pavillon zu sein. Und er hat eine di e ser neuen Armbrüste dabei. Er wird erst nach Sonnenau f gang mit seiner Mutter hierher zurückkommen.«
»Das ist gut«, sagte Ada, während sie nach Norden zu der hö l zernen Mauer und dem Wald dahinter schaute. Hier auf dem o f fenen Hang war es bereits dunkel; am Westhimmel, wo sich dunkle Wolken ballten, floh das letzte Licht, und sie kon n te sich vorstellen, wie dunkel es unter den Bäumen dort dra u ßen sein musste. »Wir sehen uns beim Abendessen, Loes Uhr.«
»Ja, bis dann, Ada Uhr – und einen schönen Abend noch.«
Der Wind frischte auf, und sie zog ihr Schultertuch über den Kopf. Sie ging in Richtung zum Nordtor und dem dortigen Wac h turm, aber sie wusste, dass sie die Wachposten dort oben nicht ansprechen und mit ihrer Besorgnis ablenken würde. A u ßerdem hatte sie am späten Nachmittag schon eine Stunde dort verbracht, die nördlichen Zufahrtsstraßen beobachtet und be i nahe glücklich gewartet. Das war, bevor die Sorge wie eine Übelkeit ei n gesetzt hatte. Ada lief ziellos auf der Ostseite von Ardis Hall herum und nickte den Wachposten zu, die sich in der Nähe der kreisrunden Auffahrt auf ihre Speere stützten. Die Gasfackeln entlang der Au f fahrt brannten bereits.
Sie konnte nicht ins Haus. Zu viel Wärme, zu viel Gelächter, zu viel Gerede. Sie sah die junge Peaen auf der Veranda, die sich ernst mit einem ihrer Bewunderer unterhielt; nach dem Absturz war der junge Mann – einer von Odysseus ’ vielen Schülern in de s sen Lehrerzeit, bevor er sich in den schweigsamen Noman ve r wandelt hatte – von Ulanbat nach Ardis gezogen. Ada suchte Z u flucht in der relativen Dunkelheit des seitlichen Gartens. Sie wol l te nicht einmal von jemandem gegrüßt werden.
Was ist, wenn Harman stirbt? Wenn er schon tot irgendwo da dra u ßen im Dunkeln liegt?
Nachdem sie den Gedanken in Worte gefasst hatte, fühlte sie sich besser; die Übelkeit ließ ein wenig nach. Die Wörter waren wie Gegenstände, die der Vorstellung festere Gestalt verliehen – sie war nun weniger ein giftiges Gas, sondern eher ein abscheul i cher Würfel aus kristallisierten Gedanken, den sie in den Händen hin und her drehen konnte, um all seine schrecklichen Seiten zu studieren.
Was ist, wenn Harman stirbt? Sie selbst würde nicht sterben – Ada, Realistin wie immer, wusste das. Sie würde weiterleben, das Kind bekommen, sich vielleicht von neuem verlieben.
Bei diesem letzten Gedanken kehrte die Übelkeit zurück, und Ada setzte sich auf eine kalte Steinbank, von der aus sie den glu t hellen Kuppelofen und das geschlossene Nordtor dahinter im Blick behalten konnte.
Ada wusste, dass sie vor Harman noch nie richtig verliebt gew e sen war – selbst als sie es gern gewesen wäre, hatte sie als Mä d chen wie auch als junge Frau gewusst, dass die Flirts und Affären in dieser Welt vor dem Absturz, in der es um wenig mehr ging als um Flirts und Affären – mit dem Leben, mit a n deren und mit sich selbst –, keine Liebe waren.
Vor Harman hatte Ada das tiefe, ungemein befriedigende Ve r gnügen, mit seinem Geliebten zu schlafen, nicht gekannt – und dies war kein Euphemismus, sondern sie dachte daran, neben ihm zu schlafen, nachts neben ihm aufzuwachen, beim Einschlafen und oftmals als Erstes beim morgendlichen Erw a chen seinen Arm um sich zu fühlen. Sie kannte Harmans selbstvergessenste Laute, se i ne Berührung und seinen Geruch – einen männlichen Duft nach freier Natur, in dem sich der Ledergeruch des Sattel- und Zau m zeugs in den
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