Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
ruhen, als läge er direkt neben ihr, und musste daran denken, was sie mit ihm erlebt und wie nahe sie sich ihm gefühlt hatte. All ihre Begegnungen spielte sie immer wieder von vorne durch und hielt den Film an den schönsten Stellen an. Wie immer kam sie danach zu der Erkenntnis, dass es einfach keinen Sinn hatte. Erst heute Morgen war sie ihm auf dem Fahrrad begegnet. Er hatte weggeschaut und wäre dabei beinahe ins Straucheln geraten. Irgendwie konnte sie nicht glauben, dass nur seine Tante der Grund war, weshalb er sich von ihr distanziert hatte. Aber was nützte ihr das?
Ihr Handy piepste.
Momme?
Leider nicht.
Huch, was war das denn? Ungläubig starrte sie auf das Display. Es war eine SMS vom Big Boss der Investmentbank, Dr. Herold persönlich!
«Sehr geehrte Frau Riewerts, ich habe Ihre Analyse gelesen und bin beeindruckt. Wir brauchen junge begabte Mitarbeiterinnen wie Sie. Deswegen biete ich Ihnen eine feste Stelle im Asienfonds an. Herr Schmidt ist übrigens nach London versetzt worden. Herzliche Grüße, Dr. Herold.»
Darauf konnte sie sich wirklich etwas einbilden. Eine SMS vom Oberchef bekam nicht jeder. Und dann auch noch mit so einem Jobangebot! Ein Adrenalinstoß durchfuhr ihren Körper, schlagartig ging es ihr besser. Nichts war umsonst gewesen, all ihre Mühe hatte sich gelohnt.
«Ich sollte die nächste Fähre nehmen und zurück nach Frankfurt fahren», sagte sie laut zu sich.
Besser als mit dem Segen von ganz oben konnte man gar nicht wieder einsteigen! Sie würde einen Haufen Geld verdienen mit einem Job, der ihr Spaß machte und für den sie ein Händchen hatte. Statt das Problem mit dem Wackeltisch im Gastraum zu lösen, würde sie in Frankfurt das ganz große Rad drehen.
Andererseits – zurückkehren konnte sie immer noch, sie war ja noch nicht einmal zwanzig. Und ihre Mission auf Föhr war erst beendet, wenn das Erdbeerparadies wieder lief. Also beschloss sie, die Mail von Dr. Herold wie Windstärke 12 im Rücken zu nehmen: Wenn sie eine internationale Investmentbank geknackt hatte, würde sie die örtliche Dorfdisco ja wohl auch schaffen, oder?
Ihr musste etwas einfallen, und dazu war jetzt ihr voller Einsatz gefragt. Was bisher fehlte, war eine fundierte Analyse der Konkurrenz. Sie redete jeden Tag mit Arne über das Island Palace, aber betreten hatten die Disco beide noch nicht. Sie erklärte sich bereit, das zu ändern. Allerdings musste sie sich sehr geschickt anstellen.
Am nächsten Tag schwang sie sich direkt nach dem Frühstück aufs Rad und fuhr durch die Marsch nach Toftum. Ihr Ziel war ein Hof, der schon bessere Tage gesehen hatte. Die Scheune war eine Baustelle, hier werkelte Besitzer Hauke seit Jahren an einer Ferienwohnung herum, die nie fertig wurde. Sein Wohnhaus nebenan verfiel immer mehr, einige Stellen im Reetdach waren mit Plastikfolie abgedeckt.
Als sie auf den Hofplatz fuhr, saß Hauke gerade mit einer Flasche Korn in der Hand auf einem Stapel Reifen und starrte dumpf vor sich hin. Sein großer, massiger Körper steckte in einem Blaumann, und seine Haare waren deutlich grauer geworden als beim letzten Mal vor vier Jahren.
«Moin, Hauke, käänst dü mi noch?», fragte sie auf Friesisch und setzte sich neben ihn.
«Bist du nicht die Thailänderin aus’m Katalog?»
Er blinzelte sie herausfordernd von der Seite an.
Jade grinste. Das hatte sie damals behauptet, um ihn zu ärgern. Hauke hatte sich gar nicht mehr eingekriegt, dass sie asiatisch aussah und friesisch sprach.
«Jo.»
«Hab gehört, du machst einen auf Inselwirtin im EP?»
«Jo.»
Hauke lachte.
«Und die Lindner findet das gar nich witzig?»
«Ist das schon rum?»
Hauke kicherte.
«Was denkst du? Da kommt eine Riewerts aus Thailand und mischt ganz Föhr auf. Das ist Spitzenthema.»
«Schlimm?»
Hauke griente sie an: «Frischer Wind ist gut für die Lunge.»
«So ist es. Sag mal, dein Sohn Lars war doch auch mal Grufti, wie ich damals …»
«Weißt du doch.»
«Hast du noch Sachen von ihm?»
Hauke musterte ihr heutiges Outfit: Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift «Zickenalarm».
«Wieso? Passt doch alles, was du anhast.»
«Heute Abend will ich mich verkleiden.»
«So wie früher?»
«Hast du was dafür?
Hauke nickte und erhob sich von seinem Reifenstapel. Wortlos schlurfte er in sein Wohnhaus. Fast alle Räume waren vollgestellt mit Baumaterialien, nur ein Zimmer und die Küche waren einigermaßen begehbar. Hauke kämpfte sich schnaufend an abgestellten Kartons
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