Oma ihr klein Häuschen
gönnerhaft zu mir: «Und was sollen wir tun, deiner Meinung nach?»
Allein schon dafür müsste ich sie entweder anschreien oder wortlos verschwinden, aber ich reiße mich zusammen und versuche es ein letztes Mal auf die Nette: «Komm, Maria, Oma ist zurzeit ziemlich von der Rolle, denk mal an gestern.»
«Kein Wunder, bei
der
Verwandtschaft.»
O. k., es war ein Versuch. Mit Maria geht es nicht.
«Meinst du damit dich oder mich?»
Ihr Kollege sendet zwei Blicke in den Raum: einen bösen zu mir und einen mitleidigen zu Maria. Maria ist die Situation offensichtlich unangenehm.
«Lass uns kurz vor die Tür gehen, ja?», schlägt sie vor und wendet sich an Petersen: «Ich bin mal weg.»
«Wenn du Hilfe brauchst …», bietet er an.
Bin ich ein Gewalttäter, oder was?
Wahrscheinlich will er seiner jungen, gutaussehenden Kollegin nur imponieren. Ich kann mir schon vorstellen, wie alle Polizisten im Revier um Marias Aufmerksamkeit rangeln.
Ob sie hier einen Freund hat?
Oder ist sie Single?
Draußen setzen wir uns auf den Deich neben dem Revier. Es ist etwas Wind aufgekommen, die Stahltaue der Segelboote im Sportboothafen klackern laut gegen die Masten. Meine kurze Hose war eine Spur zu mutig für die Temperaturen, was ich mir selbstverständlich nicht anmerken lasse.
Die
MS Nordfriesland
ist jetzt kurz vorm Ablegen, vom Achterdeck winken ein paar Passagiere, an der Mole winken Zurückgebliebene zurück.
«Vielleicht ist Oma ja weggefahren», spekuliert Maria. Sanfte Böen zuppeln an einer Haarsträhne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hat. Gedankenverloren streicht sie sie mehrmals zurück. Ich muss mich immer noch an ihr neues Aussehen mit Lippenstift und weicherem Gesicht gewöhnen. Sie wirkt wie die ältere Schwester der Frau von damals.
«Siehst du Oma oft?»
«Zweimal die Woche mindestens. Ich mache oft bei ihr Mittagspause. Sie kocht immer Thai für mich.»
«Du isst asiatisch?», staune ich, «das hast du früher strikt abgelehnt.»
«Ja, Sönke, manchmal verändert man sich im Leben.»
Reichlich scharf geschossen, Cousine! Maria tippt die Kurzwahltaste auf ihrem Handy und hält es ans Ohr.
«Papa hat sein Handy nicht an, da meldet sich nur die Mailbox», wundert sie sich. «Als Muttersöhnchen weiß er mit Sicherheit, wo sie steckt. Lass uns zu ihm fahren.»
Wenigstens teilt sie jetzt meine Sorge um Oma.
Direkt könnte sie das nie sagen – in der Hinsicht hat sie sich kein bisschen verändert. Sie steht auf und geht mit mir zu ihrem schwarzen Mini One, der unabgeschlossen neben dem Polizeirevier auf dem Deich parkt. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen.
«Der riecht ja innen wie neu!», staune ich. Den Wagen fuhr sie doch schon bei unserem letzten Treffen vor zehn Jahren.
Maria trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad und schlägt jetzt einen lässig-rauen Ton an: «Letztens habe ich einen Jugendlichen beim Sprayen erwischt.»
Als Großstädter muss ich das erst einmal durchschalten: «Hier auf Föhr?»
«Die friesischen Sprayer nehmen sich bei uns Scheunen und Reetdachhäuser vor.»
« U-Bahnwaggons bieten sich ja nicht so an. – Aber was hat das mit deinem Auto zu tun?»
Als Maria anfährt, macht die Antriebswelle mahlende Geräusche wie ein Trecker. «Wenn ich einen Jugendlichen bei einer Kleinigkeit erwische, muss es ja nicht gleich ein Verfahren geben. Die müssen ihren Schmutz wegmachen, und die Strafe arbeiten sie an meinem Auto ab. Und weil ich
immer
einen erwische, bleibt der Wagen eben sauber.»
«Ist das denn legal?»
«Legal ist nur ein Strafverfahren», zuckt sie mit den Achseln, «aber ist es auch besser?»
Maria hat eben auch ihre netten Seiten.
Kurze Zeit später stellt sie den Mini oberhalb der Strandpromenade, gegenüber dem «Haus am Meer», im absoluten Halteverbot ab. Da jeder ihrer Kollegen Marias Wagen kennt, besteht vermutlich keine Knöllchen- oder Abschleppgefahr.
«Wir sind da», kündigt Maria an, holt tief Luft und umklammert das Lenkrad.
Mit einem Mal wirkt sie gestresst.
Ein wichtiger gemeinsamer Ort aus unserer Kindheit liegt direkt vor uns. Das Pitschi’s war mal eine einfache Bretterbude am Südstrand, in der sich Surfer trafen und wo es Bier aus der Flasche gab. Später hat man das Ganze mit einer Terrasse und Glastüren veredelt und gute Weine und Fassbier ins Repertoire mit aufgenommen.
«Was habe ich dich damals beneidet», erinnere ich mich, «Schularbeiten machen am Strand, spielen, Freunde treffen. Das
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