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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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unregelmäßigen roten Backsteinmauern sind naturbelassen. In der Mitte des Raumes befindet sich eingroßer Feuerplatz mit einem Herdfeuer. In solchen Bauten steckt die Weisheit von Jahrhunderten, allein von der Akustik her: Alle harten Alltagsgeräusche werden zu Ohrschmeichlern verwandelt. Ein Dutzend Patienten hat es sich in gemütlichen Kippsesseln bequem gemacht. Maria und ich steuern zwei Sessel in einer Ecke des Zimmers an und legen die Beine hoch. Unwillkürlich stelle ich mir vor, wie im Winter draußen der Sturm ums Haus heult, das Herdfeuer in der Mitte knackt und man sich streitet, wer früher drankommt: «Sie waren zwar später da, aber gehen Sie doch bitte vor!»
    Der einzige Bruch sind die Fotos von Sehenswürdigkeiten Italiens an der Wand: das Kolosseum, ein Panorama von Neapel, eine Strandszene am Lido di Venezia, vermutlich vom Arzt selbst fotografiert. Maria und ich liegen nebeneinander und blättern in Zeitschriften, um uns abzulenken.
    «Was würdest du tun, wenn du zehn Millionen hättest?», frage ich sie spontan.
    «Wie kommst du jetzt darauf?»
    «Keine Ahnung, vielleicht weil ich gerade Fotos von Brad Pitts und Angelina Jolies Zuhause gesehen habe.»
    «Und wie sollte ich an zehn Millionen kommen?»
    «Lotto?»
    Maria schaut mich an, als hätte ich sie gerade der Prostitution bezichtigt: «Bin ich blöd? Ich spiele kein Lotto.»
    «Okay, dann schenke ich dir einen Schein, und der gewinnt zufällig.»
    Sie überlegt keine halbe Sekunde: «Ich würde es in kürzester Zeit auf den Kopf hauen und dann weiterleben wie bisher.»
    So viel Unvernunft hätte ich dir gar nicht zugetraut, Respekt, Maria.
    «Herr und Frau Riewerts, bitte», ruft die Sprechstundenhilfe in den Raum.
    Da müssen wir beide lächeln.
    Fast hätte ich aus Spaß Marias Hand genommen. Fast.
     
    Dr.   Behnke setzt seine randlose Brille auf, erhebt sich von seinem Schreibtisch und kommt uns mit freundlichem Blick entgegen. Ihn plagt dasselbe Problem am Kopf wie mich an den Beinen: Er hat eine Vollglatze. Omas Hausarzt wird so um die sechzig sein und besteht im Wesentlichen aus zwei dicken Kugeln, einer runden Kopfkugel und einer größeren Bauchkugel, an der spittelige Arme und Beine befestigt sind.
    «Herr Dr.   Behnke, wir müssen ernsthaft über Ihre Gesundheit reden», verziehe ich sofort mit Blick auf seine Figur das Gesicht, «Ihre Gelenke werden sich bei dem Übergewicht im Alter schnell abnutzen. Da gibt es nur eins: abnehmen! – Rauchen Sie?»
    Das sage ich natürlich
nicht
!
    «Moin, Frau Riewerts», begrüßt der Arzt Maria, «Sie haben Ihren Freund mitgebracht?»
    Dr.   Behnke vermutet offensichtlich ein Problem wie Impotenz, Geschlechtskrankheit, unerfüllten Kinderwunsch oder Ähnliches – warum sonst sollten wir hier zu zweit auftauchen? Irgendwie würde ich mir wünschen, dass Maria das Pärchenspiel nicht sofort auflöst.
    «Äh, nein, das ist mein Cousin, Sönke Naumann. Seine Mutter ist eine geborene Riewerts», stellt sie jedoch klar.
    Schade.
    «Geht es um eine Erbkrankheit?», spekuliert er. Offensichtlich hat er vergessen, dass Maria adoptiert ist.
    «Ja», bestätige ich aus Spaß.
    «Nein», widerspricht Maria und funkelt mich streng an.
    «Was sind denn die Symptome?», fragt Dr.   Behnke neugierig.
    «Oma ist weg», erklärt Maria.
    Er braucht eine Sekunde, um umzuschalten: «Imke? Weg?»
    «Sie sind doch mit ihr befreundet – wissen Sie zufällig, wo sie sein könnte?»
    Dr.   Behnke überlegt einen langen Moment, dann schaut er uns abwechselnd in die Augen.
    «Imke kommt wieder», verspricht er mit verbindlichem Ton. Es klingt so wie:
Nehmen Sie drei am Tag davon, und Ihre Beschwerden sind innerhalb kurzer Zeit verschwunden. Keine Risiken, keine Nebenwirkungen, es ist rein pflanzlich
.
    «Wie können Sie sich da so sicher sein?», wundere ich mich.
    «Geben Sie mir mal Ihren rechten Arm», fordert mich Dr.   Behnke auf und nimmt die Armmanschette in die Hand.
    «Das ist ein Missverständnis», protestiere ich.
    Dr.   Behnke ist das egal. «Bluthochdruck bemerken die meisten erst, wenn es zu spät ist. Hier kommt keiner raus, ohne dass ich gemessen habe.»
    Ich setze mich auf die Liege und mache ihm wenig Hoffnung: «Ich rauche nicht, habe kein Übergewicht und trinke kaum Alkohol. Außerdem bin ich seit einem Jahr Single und renne zwanghaft ins Fitness-Studio, um eine Frau kennenzulernen.»
    Das kann Maria ruhig wissen.
    «Und? Hat es geklappt?»
    Interessiert rollt Dr.   Behnke mit

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