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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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nicht kann. Diesmal hat sie sogar einen Grund dafür, aber kein Blaulicht. Wir nehmen denselben Weg wie gestern, durch die schnurgerade Badestraße und vorbei an Banko’s Backshop und Akropolis   II.
    Maria ist, wie wir alle, kirre vor Sorge.
    Hupend vertreibt sie radfahrende Touristen, die Zahl der hochgestreckten Stinkefinger auf der Insel steigt während unserer Fahrt um geschätzte 600   Prozent. Arne kaut vor Aufregung an seinen Fingernägeln.
    Unterwegs höre ich noch einmal die Mailbox ab: Hat Oma von ihrer Wohnung aus angerufen? Woher kommen die Hintergrundgeräusche? Ich vermute, dass Wind ins Handy geblasen hat, während Arne das Geräusch eindeutig als Keuchen identifiziert. Maria ist sich nicht sicher, glaubt aber an etwas Harmloses, das sich bald aufklären wird. Sie bremst scharf vor Omas Haus, wir springen raus, laufen an der Sandra-Lückemann-Boutique vorbei zum Eingang und klingeln wie blöde.
    Nichts regt sich.
    Nachdem uns endlich eine Nachbarin hereingelassenhat, stürmen wir durchs kühle Treppenhaus die Stufen hoch.
    «Aufbrechen!», ruft Arne, als wir vor Omas verschlossener Tür stehen.
    «Gefahr im Verzug», bestätige ich, als sei ich Polizist und hätte das zu entscheiden.
    «So einfach wie im Film geht das nicht», erklärt uns Fachfrau Maria, die so was als Einzige schon mal gemacht hat, «das ist eine massive Tür, wir brauchen ein Brecheisen. Der Schaden liegt dann allerdings im vierstelligen Bereich.»
    Arne schaut uns mit flimmernden Augen an: «Mensch, wenn Mama da drinnen liegt, ist das egal.»
    «Über den Balkon», schlage ich vor.
    Also laufen wir die Treppe wieder runter und raus auf die Promenade, wo sich die trägen Touristenströme immer noch eisschleckend vorbeischieben. Die Band spielt wieder die Taigaversion von Michael Jacksons
Beat it
, der russische Akzent kommt mir schon fast vertrauter vor als das Original. Wir haben Glück. Neben dem weißen Kurhaus gegenüber gibt es eine Wendeltreppe, die von Grünpflanzen umrankt wird. Ein Gärtner steht gerade auf einer hohen Aluleiter, um sie zu beschneiden.
    «Runter da», ruft Maria ihm zu.
    Der Mann wirft ihr einen fragenden Blick zu.
    «Polizei», sagt Maria und zeigt überflüssigerweise ihren Ausweis, als würde die Uniform nicht genügen. Der Mann klettert schnell von der Leiter: «Was ist denn   …?»
    Maria ruft: «Die Leiter   …», aber da halten Arne und ich sie schon in der Hand und balancieren sie hinüber zu Omas Balkon. Arne klettert als Erster hinauf, Maria folgt ihm, zum Schluss komme ich. Wir pressen die Gesichter an die gläserne Balkontür und starren hinein. Nichts zu erkennen,aber von hier aus können wir auch nur das Wohnzimmer einsehen. Der Laptop ist ausgeschaltet, auf der hellen Couch liegt Omas Cocktailkleid von gestern. Mein Kunstharzwürfel mit dem Föhn steht auf dem Couchtisch, das freut mich, obwohl ich so angespannt bin.
    Maria zückt ihren Leatherman, eine Art Schweizer Messer für Handwerker mit unzähligen Werkzeugen. Mit wenigen Drehungen hebelt sie die Balkontür auf, und wir gehen hinein. Oma liegt weder im Bett, noch ist sie im Bad. Im Schlafzimmer sieht es nach Aufbruch aus, der Kleiderschrank ist aufgerissen, einige Sachen sind vom Bügel gefallen. Ihr Koffer steht da, aber Maria vermisst an der Flurgarderobe Omas Lieblings-Schietwetter-Jacke und die rosa Gummistiefel, auch ihr großer Reiserucksack in der Abseite neben der Eingangstür fehlt.
    Ist sie verreist?
    Wohin?
    Warum sagt sie niemandem Bescheid?
    Ich habe Hemmungen, Omas Sachen zu durchwühlen, und lasse mich daher erst mal auf die Couch fallen. Maria setzt sich so nah neben mich, dass ihre Uniformjacke meine Schulter berührt.
    «Vielleicht sind wir alle auch nur hysterisch», überlege ich laut. «Das wäre im Nachhinein mehr als peinlich.»
    «Oma ist ja nicht dement oder gestört», bestätigt Maria.
    Arne hält nichts auf, er sucht im Bad nach allen möglichen Hinweisen, während Maria und ich die Köpfe zusammenstecken, um noch einmal die Mailbox abzuhören: Hat Oma vielleicht während des Anrufs einen Herzanfall bekommen?
    «Hört sich nicht so an», finde ich.
    «Das ist der Wind», meint auch Maria.
    Jetzt stürmt Arne mit einer Tablettenschachtel den Raum und hält sie hoch wie eine Trophäe: «Ein Herzmittel.»
    Maria zuckt mit den Achseln: «Und?»
    «Du musst eine Vermisstenanzeige aufgeben», bedrängt Arne seine Tochter, «Hubschrauber, Hunde, das ganze Programm.»
    «Die meisten Vermissten tauchen nach

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