Oma ihr klein Häuschen
die lederne Sonnenliege im hinteren Teil des Bootes, wo vielleicht schon mal Brigitte Bardot oder der Schah von Persien lagerte. Erschöpft lässt Oma sich daraufsinken, und Maria zieht behutsam den Schlafsack zu.
«Der hält dich warm», beruhigt sie Oma und zwinkert mir zu: «Habe ich damals bei Globetrotter gekauft, der geht bis minus zwanzig Grad.»
«Gut so», antworte ich. Damit bekommt unser missglückter Ausflug von damals doch noch einen Sinn.
Ich helfe Maria mit Windschutz und Sonnenschirm, Arne vertäut beides fest an Bord.
«Los jetzt», drängelt Maria, «ich komme mit der nächsten Fähre nach.»
In kleinem Gang tuckert Arne aus dem Hafen an den weißen Sportbooten vorbei. Der Wind hat etwas nachgelassen, trotzdem ist es immer noch sehr frisch. Während Oma warm und sicher im Mumienschlafsack liegt, fallen ihr langsam die Augen zu. Und das ist gut so, denn außerhalb des Hafens wird die See ziemlich kipplig, die Wellen haben weiße Schaumkronen.
Ich sitze neben Oma und halte sie fest.
Jetzt macht Arne seine Jacke zu und gibt Gas. Einige Wellen wirken wie eine Sprungschanze, sodass wir ein paarmal hart mit dem Bug aufknallen. Prompt wacht Oma auf, ihr bleibt wirklich nichts erspart. Mit ein paar Knoten weniger wäre es allerdings auch nicht besser, denn dann würde Oma heftig durchgeschaukelt werden. Arne nimmt denselben Kurs, den er auf unserem Männerausflug genommen hat, zwischen Föhr, Amrum und Sylt hindurch. Hier ungefähr haben wir getafelt, mitten im Meer, aber dafür habe ich jetzt keine Augen. Ich muss auf Oma achten.
«Es sieht gut aus, wir sind bald da», beruhige ich sie.
Sie versucht ein Lächeln, was ihr aber nicht gelingt. Jetzt fährt Arne um die Nordspitze Amrums herum und tuckert in kleinem Gang auf den Strand zu. Es ist einigermaßen schwierig, das Rivaboot im flachen Wasser festzumachen, aber zum Glück hat Arne einen schweren Eisenanker dabei. Wie Oma so auf dem Sonnendeck daliegt, sieht sie blass und ausgezehrt aus. Geradezu das Gegenteil der mondänen Ladys, die sich in den Sechzigern auf solchen Luxusbooten vor den Kameras räkelten.
«Wie machen wir das jetzt?», frage ich Arne.
«Ihr holt Johannes, ich warte im Boot», treibt uns Oma an.Offensichtlich hat sie Kraft gesammelt, woher auch immer. Ihre Stimme ist wieder fest und klar.
«Und wenn es dir schlecht geht?»
«Wenn er am Strand sterben will, muss ich nicht mit zu seinem Haus. Das ist ein Weg zu viel. Ich warte hier.»
Arne schaut seine Mutter betroffen an.
Eine gefasste, mutige Frau.
«Ich gebe dir mein Handy, Mama. Sönkes Nummer ist gespeichert.»
«Beeilt euch», bittet sie eindringlich.
Arne und ich joggen los, was im weichen Sand gar nicht so einfach ist. Wir müssen so schnell wie möglich über die Dünen zum Oode Waii kommen.
23. Unter großen Himmeln, ganz nah I
Auf der anderen Seite der Dünen beginnt eine andere Klimazone. Ohne den schneidenden Wind vom Meer ist es gefühlte zehn Grad wärmer, der letzte Rest des flüchtigen Sommers scheint sich hierhin verzogen zu haben. Arne und ich keuchen im Laufschritt in Richtung Norddorf, lassen aber nicht nach. Mir ist so heiß wie sonst nur bei hohem Fieber.
Ehrlich gesagt habe ich noch nie solche Angst gehabt.
Einen Sterbenden an den Strand schleppen? Ich habe noch nie einen Toten gesehen.
Und was passiert danach? Hat jemand die Nummer eines Bestattungsinstituts dabei? Bestimmt nicht.
«Warte …», keucht Arne und bleibt stehen. Wir schnappen beide nach Luft. «Weswegen rennen wir eigentlich so?», japst er.
«Damit wir nicht zu spät kommen.»
«Du meinst, wir könnten den Tod verpassen?»
Ich halte an, lasse mein Jackett auf den Asphalt fallen und streife den Seemannspulli ab.
«Was passiert eigentlich, wenn Johannes in der Zwischenzeit gestorben ist?», fragt Arne.
Für mich bricht in diesem Moment eine Welt zusammen:Ich dachte,
er
weiß das! Immerhin ist er der Ältere von uns beiden.
«Wie jetzt?», stammle ich.
Arne stützt sich mit durchgedrückten Armen auf seinen Knien ab. «Glaubst du,
ich
habe so etwas schon mal gemacht?»
Ich weiß nicht, ob ich das durchstehe. Schon als Kind habe ich geahnt, dass Erwachsene zwar eine Menge toller Sachen dürfen, aber dass es dabei einige fiese Haken gibt.
Etwas langsamer als vorher nähern wir uns Johannes’ Haus Ecke Bideelen. Pullover und Jackett trage ich über dem rechten Arm. Vor der Einfahrt steht immer noch der Lada, aber jetzt ist die Heckklappe geöffnet, und auf der
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