Oma ihr klein Häuschen
Ladefläche liegt eine Matratze, die über die Stoßstange hinausragt.
Das, was ich mir ausgemalt habe, geschieht nun wirklich.
Ich werde mich an Christa halten. Sie hat vermutlich den besten Überblick von allen. Nervös zieht Arne am Gummi seines Pferdeschwanzes, als sei das locker. Wir zögern, aber dann spüren wir beide, dass das nichts ändert, geben uns einen Ruck und gehen ins Haus.
Die Tür ist offen.
«Christa», rufe ich leise.
«Im Wohnzimmer», höre ich ihre Stimme.
Arne und ich schauen uns einen kurzen Moment lang an und treten dann über die Schwelle zum Wohnzimmer. Mir wird schlecht. Die Fotos sind weggeräumt, damit wir freie Bahn haben. Johannes wird nie wieder eins dieser wunderbaren Bücher mit den kyrillischen Schriftzeichen in die Hand nehmen, und auch seine Joggingschuhe hinten in der Ecke werden ihren Zweck verlieren.
Bitter.
Das Bett steht in der Mitte des Raumes. Ich muss mich stark zusammenreißen, um dem Panikgefühl im Magen nicht nachzugeben. Instinktiv drücke ich mir Pullover und Jackett vor den Bauch, als könnte mich das vor irgendetwas schützen.
Christa sitzt neben Johannes’ Bett und schaut uns erwartungsvoll an. Johannes sieht blass aus, und seine rechte Gesichtshälfte wirkt noch schiefer als gestern. Seine Augen sind geöffnet, aber er scheint trotzdem nicht viel mitzubekommen von dem, was hier geschieht.
«Bist du sicher, dass es so weit ist?», vergewissert sich Arne leise bei Christa.
Die nickt stumm: «At as nü balh tu aanj.»
Es geht nicht mehr lange.
Ich sehe zum Bett.
«Wir bringen dich jetzt an den Strand», kündige ich Johannes an.
Er zwinkert zur Bestätigung zweimal mit dem Lid.
Arne räuspert sich und muss ein paarmal schlucken, bevor er reden kann.
«Imke wartet dort auf dich», erklärt er Johannes laut.
Johannes zwinkert erneut zweimal. Er weiß, dass es jetzt zum Sterben geht, und ist einverstanden.
«Denn mal los!»
Arnes Stimme hat plötzlich etwas Entschlossenes, er scheint an seiner Aufgabe zu wachsen. Hinter dem Sprücheklopfer steckt doch mehr, als ich gedacht habe, und das steckt mich an.
Entschlossen wirft Christa die Bettdecke zurück. Johannes trägt ein dunkelblaues T-Shirt und bunte Boxershorts, darunter sehe ich das erste Mal in meinem Leben eine Windel für Erwachsene. Arne, Christa und ich schiebenihn an die Bettkante, und auf ein Zeichen heben wir ihn von beiden Seiten hoch. Seine Haut fühlt sich bettwarm an. Dann tragen wir Johannes mit schnellen Schritten über den Flur hinaus zum Lada. Johannes stöhnt auf, was mir durch und durch geht, aber wir können es nicht ändern. Vorsichtig betten wir ihn auf die Matratze, die die gesamte Ladefläche im Lada ausfüllt.
Arne geht ans Steuer, ich setze mich mit Christa nach hinten, sodass wir die Matratze festhalten können. Ein verirrter warmer Windstoß fegt in die Heckklappe, als Arne gerade den Rückwärtsgang einlegt. Wir tuckern im Schritttempo den Oode Waii entlang, an Schilfgräben und Pferdeweiden vorbei bis zu den Dünen des Vogelschutzgebietes. Einige Touristen glotzen neugierig in den Wagen. Vor der ersten Düne im Vogelschutzgebiet hält Arne an, steigt aus und tritt ein paar kniehohe Holzpfähle zusammen, damit wir keinen Umweg nehmen müssen.
Innerlich fahre ich komplett auf Autopilot: Nur das Nächstliegende machen und dabei nicht an den folgenden Schritt denken.
Zusammen ziehen wir vorsichtig die Matratze raus, auf der Johannes liegt. Arne und ich packen seinen ausgemergelten Körper genauso unter Armen und Beinen, wie Maria und ich Oma getragen haben, während Christa Arnes Jacke und meine Sachen in einen großen Rucksack stopft. Johannes wiegt nicht viel, aber trotzdem versinken wir bei jedem Schritt tief im pulverweichen Sand, außerdem geht es bergauf.
Hier in den Dünen ist es absolut windstill, sodass uns der Schweiß jetzt in Strömen runterläuft. Johannes muss Schmerzen haben, denn er hält die Augen geschlossenund stöhnt laut auf, obwohl er vom Arzt kurz vor unserer Ankunft noch eine Morphiumspritze gekriegt hat, wie Christa weiß.
Auf der anderen Seite der Düne kühlt uns die steife Brise, die vom offenen Meer kommt. Ganz hinten, an der Wasserkante, liegt das Rivaboot. Aber Oma hat es bereits verlassen, wie ich jetzt feststelle. Sie hat den Windschutz mit den bunten Blumen, den wir an Bord hatten, in einer Dünenmulde aufgebaut! Wie ist sie bloß in ihrem Zustand aus dem Boot gekommen und hat die Sachen über den Strand bis zu den Dünen
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