Oma klopft im Kreml an
Talent in Haushaltführung, brachte während des Frühstücks ihre Rechnungen in Ordnung, plante die Mahlzeiten und schrieb kleine Merkzettel an sich selbst («Mrs. Coots sagen, daß sie heute Messing putzen soll»; «Mrs. Spencer an Rhabarber im Garten erinnern»). Constance, die Tochter, Soziologiestudentin, vergrub sich in einem Lehrbuch; und Humphrey und sein Vater tauchten so gut wie nie hinter ihren Zeitungen auf.
An diesem Morgen bestrich Humphrey eine Scheibe Toast sorgfältig mit Butter, lehnte seinen Daily Guardian gegen die Kaffeekanne und machte sich daran, einen Artikel mit der Überschrift «Kommunisten nehmen Rat ausländischer Touristin begeistert auf» zu lesen. Seit Miss Baker nach Moskau aufgebrochen war, brachte die Familie Napier allen kommunistischen Angelegenheiten mehr als nur das übliche kultivierte Interesse entgegen.
Er aß seinen Toast, las das Ganze durch, ohne mit der Wimper zu zucken, faltete die Zeitung säuberlich zusammen und reichte sie seinem Vater.
«Wie immer hattest du mit Tante Lavinia vollkommen recht», sagte er ernst. «Sie ist dabei, sich in Schwierigkeiten zu bringen.»
Gut erzogen, nüchtern - eine typische Napier-Reaktion.
Mr. Napier runzelte die Stirn, nahm die Zeitung und las.
«Worum geht’s denn, Schatz?» fragte Lady Eleanor und sah von ihren Rechnungen hoch. «Nach all deinen Mühen mit dem Auswärtigen Amt können sie doch nicht zugelassen haben, daß Tante Lavinia etwas Dummes anstellt?»
«Sie hält Reden», sagte Mr. Napier grimmig. «Hör dir das an: (Genossen erfahren: sie sind zu langweilig und fanatisch. Miss Lavmia Baker, eine siebzigjährige Touristin, die zum erstenmal in Moskau ist, sagte gestern abend ihren russischen Gastgebern, womit sie das Leben in der Sowjetunion heiterer gestalten können.
In ihrer Rede beim Abschiedsessen für die Antifaschistische Friedensliga kritisierte sie an den russischen Männern, daß sie ihre Frauen zu schwer arbeiten ließen, und gab zu bedenken, daß diese Luxus genauso zu schätzen wüßten wie das Notwendige im Leben.
Die Genossen, die diese deutliche Sprache nicht gewöhnt sind, brachten der furchtlosen Engländerin große Ovationen. , sagte Miss Baker. »
«Und das in ihrem Alter!» rief Constance indigniert aus. Sie war ein rundliches, zarthäutiges Mädchen, ihrer Mutter sehr ähnlich, und fühlte sich mit den Genossen einer Meinung, daß Vergnügen und Spaß im ernsten Geschäft des Lebens ganz überflüssig seien. «Wirklich, ich habe gedacht, Tante Lavinia sei allmählich zu alt, um in Schwierigkeiten zu geraten. Aber Vater hatte ganz recht, daß er diesmal dem Auswärtigen Amt davon erzählt hat.»
Er gab Lady Eleanor die Zeitung, damit sie Miss Bakers Rede selbst zu Ende lesen konnte. «Und wie ich Tante Lavinia kenne, ist das erst der Anfang. »
Sein Gesicht wurde noch ausdrucksloser, während er seine leere Kaffeetasse anstarrte. Nach einigen Minuten ernsthaften Nachdenkens räusperte er sich und gab den Plan, nach dem die Familie vorzugehen hatte, bekannt.
«Sehr dringlich scheint mir diesem Artikel nach die Sache nicht. Kann ich bitte die Orangenmarmelade haben, Constance? Abgesehen davon, daß ich diese Art raffinierter Sensationsmache ablehne - ich verstehe nicht, warum du diese Zeitung abonniert hast, Humphrey -, können wir die ganze geschmacklose Episode gewiß ignorieren. Aber leider zeigt sie, daß Tante Lavinia trotz meiner Ermahnungen darauf aus ist, Schwierigkeiten zu machen. Ich fürchte, einer von uns muß hinfahren. Und Humphrey, ich fürchte, du wirst derjenige sein.»
«Donnerwetter, Vater, so schlimm kann’s doch nicht sein. Ich bin der Meinung, wenn du Tante Lavinia in Ruhe läßt, kommt sie schon irgendwie nach England zurück. Du mußt doch zugeben, die alte Dame ist im allgemeinen durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen.»
«Aber die Öffentlichkeit», stöhnte Lady Eleanor. «Weißt du noch, wie wir sie fünf Monate lang in Südamerika ignoriert hatten und sie sich auf irgendeinem fürchterlichen Frachter als Stewardess anheuern ließ? Und dann die Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft über die Einstellung von Arbeitskräften über sechzig. Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir ihr nicht sofort das Geld für die Überfahrt geschickt hätten.»
«Aber sie war ja gerade dabei, aus den Auseinandersetzungen
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