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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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ganzen Fall so konfus und kompliziert wie möglich gemacht. Zuerst wird eine Anfrage an unser Außenministerium gestellt, ob Miss Baker das Land verlassen habe. Das ist natürlich nur eine Finte, um sich von ihren weiteren Aktivitäten zu distanzieren. Dann aber, als wir korrekterweise ihren Paß zurückgeben mit der Bitte, ihn an sie weiterzuleiten, zeigen sie plötzlich, worauf es ihnen wirklich ankommt. Sie fragen nämlich, ob wir ihnen sagen können, wo sie ist. Diese Frage ist natürlich viel zu naiv, um ernst genommen zu werden. Im Grunde sagen sie damit: . Genossen, das ist unverfroren! Eins ist zumindest sicher. Wir werden das Außenministerium anweisen, diese letzte impertinente Frage der Britischen Botschaft nicht zu beantworten.»
    «Hört, hört», «Natürlich», «Aber gewiß», stimmten die Teilnehmer der Konferenz zu.
    «Ich weiß sowieso nicht, was wir antworten sollten», sagte der Parteisekretär. Er war geneigt, alles wörtlich zu nehmen. «Da wir nicht wissen, wo sie ist, hätte es wenig Sinn, das zuzugeben. Wenn wir nichts sagen, sind sie wenigstens im Zweifel.»
    «Andererseits», sagte der Vorsitzende, ohne auf diese Unterbrechung zu achten, «haben wir schon zu viele Konferenzen abgehalten, ohne zu einer Entscheidung zu kommen. Die Briten haben den Fall für ihre Presse freigegeben. Sie versuchen, unserm Ruf als eine demokratische, friedliebende Nation, als die wir in der ganzen Welt bekannt sind, zu schaden. Wir müssen wenigstens zeigen, daß wir uns durch ihre Manipulationen nicht hinters Licht führen lassen. Wir müssen ohne den Schatten eines Zweifels beweisen, daß uns unsere eigene Position in dieser Sache klar ist. Der imperialistischen Agentin in unserer Mitte wird, wenn die Zeit reif ist, die Maske vom Gesicht gerissen werden. Bis dahin aber müssen wir jede Kenntnis dieser hinterhältigen Intrige ableugnen.»
    Der Vorsitzende hatte sich in rhetorische Hitze geredet. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, er warf den Kopf zurück und blickte seine Zuhörer drohend an, als wenn sie ihm widersprechen wollten. Aber niemand versuchte das. Alle waren dankbar, daß bei dieser Konferenz zumindest etwas Ähnliches wie ein bestimmter Aktionsplan herauszukommen schien.
    «Ich schlage vor», fuhr der Vorsitzende fort, «daß wir diese ganze Verschwörung auf dem Wege über unsere demokratische Presse ans Licht bringen. Wir werden unsern führenden Leitartikler der Prawda auffordern, einen Bericht zu schreiben, in dem er klar und deutlich und mit der skrupulösen Wahrheitsliebe, für die unsere kommunistische Presse mit Recht berühmt ist, die Lage schildert.»
    «Hört, hört», «Natürlich», «Aber gewiß», murmelten die Teilnehmer der Konferenz.
    Nur der alles wörtlich nehmende Parteisekretär schien nicht überzeugt.
    «Es ist ja schön und gut anzukündigen, daß wir die Verschwörung aufdecken wollen», gab er zu bedenken. «Aber ich weiß nicht recht, wie wir mit skrupulöser Wahrheitsliebe vorgehen wollen, wenn wir selbst gar nicht wissen, was die Wahrheit ist.»
    «Das soll uns nicht kümmern», erwiderte der Vorsitzende von oben herab. «Das ist die Angelegenheit des Prawda- Genossen, der den Artikel schreiben soll. Damit wir nicht wieder eine Konferenz einberufen müssen, werde ich einen Ausschuß bilden, der den Artikel prüft und korrigiert. Genossen, ich schlage vor, daß wir unsere Konferenz für heute schließen.»
    Die Genossen waren sehr glücklich, daß ihre Konferenz zu einem so schnellen und befriedigenden Ende gebracht worden war. Es war Freitag nachmittag, und ihre Wagen und Chauffeure warteten bereits, um sie aus den heißen, staubigen Straßen Moskaus in die kühle Abgeschiedenheit ihrer Datschas zu bringen. Während sie nacheinander das Konferenzzimmer verließen, versuchten sie, sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, wieviel Gramm Kaviar, Dosen Fischleber, Flaschen Mineralwasser und Kilo Salami sie fürs Wochenende mitbringen sollten. Die Diskussion, mit der sie den größten Teil des Nachmittags zugebracht hatten, schien schon nichts mehr mit dem Leben zu tun zu haben.
    Auch der Vorsitzende hatte nicht die Absicht, sich durch sein Versprechen, den Prawda -Artikel zu prüfen, das Wochenende verderben zu lassen. Er ließ den Artikel am nächsten Nachmittag von seinem Chauffeur aus Moskau holen und legte sich für die Korrektur hinter die Himbeersträucher in seine

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