Oma klopft im Kreml an
einer roten Nase und einem tiefen, freundlichen Lachen. Er sagte, er sei Busfahrer. Sie sind beide sehr stolz auf Anna, weil sie gebildet ist, und sie erzählten mir, nur in der Sowjetunion sei es möglich, daß ein Arbeiterkind ein Mitglied der Intelligenzija werden könne. Ich sagte ihnen aber, daß das Unsinn ist und daß mein Milchmann in England einen Sohn hat, der auf die Universität geht.
Dann fragten sie mich über England aus; was wir essen und ob wir mit Gas oder auf Spirituskochern kochen. Sie sagten, beim nächsten Fünfjahresplan würden sie Gas bekommen, und zeigten mir ganz stolz ihr elektrisches Licht. Sie waren fest davon überzeugt, daß es so etwas bei englischen Arbeiterfamilien nicht gibt.
Annas Großmutter brachte uns große Schüsseln mit Suppe, und als die andern Familie gegessen hatten, drängten sich alle um uns. Einer hatte eine Balalaika und ein anderer ein Akkordeon, und sie spielten und sangen Volkslieder, und alle sangen mit. Wir saßen auf den Betten, und selbst die älteste Großmutter wiegte sich im Takt.»
Miss Baker seufzte und lächelte zu Jackie hinunter, die vor ihr auf dem Fußboden kauerte.
«Was ich dort in der Kirche gefühlt habe, ist schwer zu beschreiben. Es war ein Gefühl, das ich, als ich noch jung war, sehr oft gehabt habe - in den letzten Jahren seltener. Ein schönes Gefühl.»
Jackie nickte, denn sie wußte genau, was Miss Baker sagen wollte, obgleich sie selbst noch nie versucht hatte, es in Worte zu fassen.
«Ich weiß», sagte sie. «Das Gefühl, daß die Menschen freundlich und umgänglich sind und es sich mit ihnen leben läßt.»
«Es ist nicht nur das», versuchte Miss Baker zu erklären. «Es ist auch eine Art Dankbarkeit. Nur zu leben - nichts zu tun, mit anderen Menschen zu sein, glücklich darüber, daß man bei ihnen ist. Es ist ein geruhsames, zufriedenes Gefühl, und doch ist es seltsam intensiv und lebendig, wie eine Flamme. Alles andere erscheint einem dann schal und langweilig. Als sei nur dieser Augenblick wichtig. Man kann es nur fühlen. Es hat das noch nie jemand so richtig in Worte fassen können.»
Miss Baker schwieg für einen Augenblick. Aber dann gab sie den Versuch, ihre Gefühle zu beschreiben, auf und fuhr mit ihrem Bericht fort.
«Anna gestand mir, daß der junge Mann, der die Balalaika spielte - er heißt Sascha -, sie heiraten wolle, daß ihre Eltern diese Verbindung aber als unpassend ansähen, weil er nur Maurer sei und keinen Ehrgeiz habe, etwas anderes zu werden. Anstatt in die Abendschule zu gehen, verbringe er seine freie Zeit mit der Balalaika und auf dem Fußballplatz. Sascha ist ein lustiger junger braungebrannter Mann, der eine Art hat, Anna anzusehen, der sie wohl trotz ihrer Eltern nicht lange widerstehen wird.
Die Familien, die sich bisher mehr am Rande gehalten hatten, drängten sich jetzt auch heran und fragten mich über England aus, und Anna hatte als Dolmetscherin tüchtig zu tun.
Als alle allgemeinen Fragen beantwortet waren, fragten sie nach persönlichen Dingen und verglichen mein Leben mit ihrem. Sie brachten Fotoalben und zeigten mir Bilder von sich und ihren Kindern.
Diese Unterhaltung machte Sascha sich zunutze; er ließ seine Balalaika liegen und setzte sich neben Anna. Als eine Frau anfing, mir von ihrer Blinddarmoperation zu erzählen, und Anna beiseite schob, um sich mit mir in Zeichensprache zu unterhalten, merkte ich, daß es Sascha endlich gelang, Anna von der Gruppe zu trennen. Die Frau mit der Blinddarmoperation war dick und rosig und genoß es sichtlich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
Es dauerte ziemlich lange, bis sie zu Ende erzählt hatte, sie beschrieb das Krankenhaus und die Schwestern und ihre Rekonvaleszenz. Schließlich wollte sie wissen, ob die Krankenhäuser in England genauso seien und ob ich meinen Blinddarm noch hätte. Ich verstand sie sehr gut, aber ich genierte mich ein bißchen, so drastisch in Zeichensprache zu reden, und sie konnte meine Antwort nicht verstehen. Alles rief nach Anna, und sie und Sascha kamen hinter einer der Trennwände hervor.
Anna war ziemlich verlegen, aber Sascha schien ganz gelassen. Er nahm einfach seine Balalaika auf und fing wieder an zu spielen, während sämtliche Familien eine Diskussion darüber begannen, ob Anna ihn heiraten dürfe oder nicht. Annas Vater war sehr böse, und Anna mußte mir übersetzen, daß Sascha ein nichtsnutziger, fauler junger Mann sei. Aber ein paar Nachbarn unterbrachen ihn und sagten, er sei sehr
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