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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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sie soll niemandem die Tür aufmachen, bis Sie zum Essen nach Hause kommen.»
    Sir Reginald wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu und entließ seine Sekretärin mit einem drohenden Blick, der, wie die meisten Angestellten der Botschaft bereits gelernt hatten, höchste Gefahr bedeutete. Nur wenige Leute versuchten, eine Diskussion weiterzuführen, wenn der Botschafter sie mit diesem Blick bedacht hatte.
    Aber Jackie stürzte sich mit dem Mut der Verzweiflung in ihre Geschichte, die jedoch bald ein so unentwirrbares Knäuel von Kirchen, Aufrichtigkeit, dem Rätsel Rußland, der Gutherzigkeit einfacher Leute und Miss Bakers Hartnäckigkeit wurde, daß sie auf halbem Wege die Waffen streckte. Sir Reginald war es gelungen, den roten Faden zu verfolgen.
    «Hm», knurrte er, als sie eine Atempause machte. «Jetzt bildet sich Miss Baker also ein, eine Soziologin zu sein! Sie denkt, wenn sie drei Monate mit einer russischen Familie zusammen lebt, kann sie die Probleme der Welt lösen. Drei Monate - in dreißig Jahren könnte sie’s nicht schaffen. Je länger man in diesem Land ist, desto öfter ändert man seine Ansichten.» Toby winselte und kratzte an der Tür, und Sir Reginald stampfte durchs Zimmer und ließ ihn herein. Er bückte sich und tätschelte ihn geistesabwesend, und Toby leckte seine Hand mit seniler Zuneigung. Wie Jackie schon oft beobachtet hatte, waren die Beziehungen zwischen Herr und Hund immer anders, als man erwartete.
    «Sagen Sie mal», sagte Sir Reginald, der offensichtlich zu einem plötzlichen Entschluß gekommen war, «wie ist diese Miss Baker eigentlich? Würde es Zweck haben, wenn ich mal mit ihr redete - oder ist sie wirklich völlig unzugänglich?»
    «Es könnte schon Zweck haben», sagte Jackie vorsichtig. «Nein, ich glaube, sie ist gar nicht unzugänglich. Sie bildet sich ihre Meinung nur anders als andere. Ich meine, es ist ihre Meinung, und sie bildet sie sich selbst.» Das klang nicht besonders klar, und Jackie versuchte es noch einmal. «Ihre Ansichten sind sehr vernünftig, wenn man weiß, wie sie dazu gekommen ist. Es sind immer ihre eigenen Ansichten - sie übernimmt nichts von andern Leuten.»
    «Ich verstehe», sagte Sir Reginald, was Jackie bezweifelte. «Wahrscheinlich war sie bereit, die Welt so lange für viereckig zu halten, bis sie selbst einmal rundherum gefahren war.»
    «Genau - und außerdem tut sie die außergewöhnlichsten Dinge auf die alltäglichste Weise, die man sich denken kann.»
    «Indem sie nach Rußland kommt, eine Delegation übernimmt, Reden hält und in einer Kirchenruine Tee trinkt?»
    «O ja», sagte Jackie dankbar. «Und wenn sie jetzt in Moskau bleiben wollte, wäre sie zum Beispiel bestimmt fähig, ins Außenministerium zu gehen - ich meine, richtig ins Haus hineinzugehen und an die Tür zu klopfen - und Kommunistin zu werden und in die Partei einzutreten. Das würde bei ihr gar nichts bedeuten. Sie würde es nur tun, weil sie so am einfachsten erreicht, was sie erreichen will. Aber ich fürchte, diesmal würde sie eben nichts erreichen, und dann wäre es zu spät, sich’s anders zu überlegen.»
    «Hm», knurrte Sir Reginald wieder. «Wahrscheinlich werde ich also nicht viel ausrichten können. Und wenn die Botschaft offiziell Kontakt mit ihr aufnimmt, wird natürlich das gesamte Pressekorps hier erscheinen. Aber man sollte es doch versuchen. Vielleicht haben wir mehr Glück, wenn ich in Ihre Wohnung komme.»
    Während Jackie neben Sir Reginald im Rolls Royce durch Moskaus Straßen jagte, kam ihr der Gedanke, daß sie dabei war, zwei unbelehrbare Dickköpfe zusammenzubringen. Soweit sie wußte, hatte weder der Botschafter in einer Auseinandersetzung je den kürzeren gezogen, noch hatte Miss Baker je nachgegeben. Jackie war überzeugt, daß es gut und richtig war, wenn beide miteinander sprachen, doch dem Ergebnis sah sie mit einiger Skepsis entgegen.
    Aber entgegen ihren Erwartungen spielte sich alles ganz friedlich ab. Sie trafen Humphrey bei Miss Baker an, der ohne viel Hoffnung immer wieder dieselben Argumente wiederholt hatte und seinen Platz nur zu gern dem Botschafter überließ. Nachdem dieser Miss Baker vorgestellt worden war, zogen sich Jackie und Humphrey in die Küche zurück und warteten zitternd auf den Beginn des Kampfgetümmels.
    Eine lange halbe Stunde herrschte gespannte Stille, die nur vom Läuten der Türglocke - Stewart Ferguson war gekommen -, einem kurzen Wortwechsel zwischen ihm und Jackie und einem energischen

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