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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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alles in kummervollstem Ton, konnte aber, von der Wirkung seiner Geschichte auf die Zuhörer mitgerissen, nicht widerstehen, noch ein paar weniger überzeugende Einzelheiten hinzuzufügen.
    «Natürlich geht Sir Reginald diese Sache sehr nahe. Miss Marsh arbeitet seit Jahren für ihn; und hier in Moskau, so weit fort von ihrer Heimat und ihrer Familie, vertritt er natürlich auf eine Art ihre Eltern. Sir Reginald kümmert sich immer sehr um seine Angestellten. Ich nehme an, er ist jetzt in die Botschaft zurückgefahren, um persönlich ihre Mutter anzurufen. Es wird ein großer Schock sein, fürchte ich», setzte Stewart mit Genuß hinzu. «Ihr Gesicht soll, wie ich gehört habe, furchtbar entstellt sein.»
    «Das klingt aber gar nicht nach dem Botschafter, von dem ich gehört habe», sagte einer der Journalisten mißtrauisch. «Ich hatte eher den Eindruck, wenn sein gesamtes Personal von einem Erdbeben begraben würde, wär ihm das völlig schnurz.»
    «Und wenn es nur ein ganz gewöhnlicher Unfall ist, wie Sie behaupten, warum sind Sie dann immer noch hier?» fragte ein anderer dazwischen.
    Stewart machte ein schmerzlich berührtes Gesicht.
    «Miss Marsh ist eine persönliche Freundin. Natürlich bin ich auch sehr beunruhigt. »
    «So, so. Na, Sie werden wohl nichts dagegen haben, wenn wir hierbleiben und Ihnen Gesellschaft leisten. Vielleicht können wir Ihnen unsere Taschentücher leihen.»
    Nachdem er mit seiner ersten Geschichte Schiffbruch erlitten hatte, erfand Stewart eine neue, um Neuankömmlinge davon abzuhalten, sich im Treppenhaus niederzulassen. Dabei wurde er phantasievoll von den früher angekommenen Reportern unterstützt, die dieses Spielchen inzwischen vervollkommnet und erweitert hatten.
    «Die Wohnung gehört zwei Männern von der Botschaftswache. Und gestern abend - ihr wißt ja, wie das in Moskau ist - war ihnen langweilig, und sie gingen auf ein paar Gläser ins Metropol. Wahrscheinlich war der Wodka ein bißchen stärker, als sie dachten, jedenfalls endete das Ganze damit, daß der eine mit einem Tintenfaß nach dem Geschäftsführer warf und der andere - ein Ire namens O’Flaherty - sich mit der Roten Armee anlegte. Es gab eine kleine Keilerei, und die sowjetischen Behörden haben beide ausgewiesen. Natürlich können sie nicht aus der Wohnung, weil sie sonst verhaftet werden. Deshalb mußte Sir Reginald höchstpersönlich herkommen, um ihnen eine Standpauke zu halten, und er war in einer Stinklaune - ihr habt sicher schon gehört, wie unbeherrscht er manchmal sein kann. Es hat also wirklich nichts weiter auf sich. Wenn ihr wollt, dann könnt ihr ruhig zum Mittagessen gehen. Wir passen auf und sagen euch nachher, was los war.»
    «Es hat also nichts mit Miss Baker zu tun?»
    «Miss Baker? Wie kommt ihr denn darauf? Die Leute hier denken doch wirklich eingleisig. Das hier ist eine viel tollere Sache als diese abgestandene Baker-Affäre. Das ist wirklich eine Sensation.»
    In der Wohnung hörte sich das Stimmengesumm wie eine besonders lebhafte Cocktail-Party an. Ab und zu wurde die Klingel anhaltend gedrückt, wenn die Presse das Bedürfnis nach Ablenkung verspürte. Aber da die Tür verschlossen blieb, begnügten sie sich schließlich damit, alle zehn Minuten das Morsezeichen SOS zu wiederholen, als Wink, daß sie immer noch da waren.
    Diese Unruhe blieb, was Miss Bakers Nerven betraf, ohne die geringste Wirkung. Sie strickte in aller Ruhe, während Jackie und Humphrey endlos Karten spielten und sich herumstritten. Sie gab Jackie recht, daß sie in der augenblicklichen Situation die Wohnung wahrscheinlich für mehrere Tage nicht verlassen konnte, weigerte sich aber, Humphrey zu glauben, daß das Problem nur durch ihre Rückkehr nach England gelöst werden könne.
    Am Nachmittag gaben die Reporter aus schierer Langeweile ihrer Belagerung eine neue Note, indem sie Warnungen und Mitteilungen durch die Tür brüllten.
    «Mach auf, Jackie! Hier ist jemand ohnmächtig geworden. Wir müssen einen Arzt rufen.»
    «Es brennt! Kommen Sie schnell raus!»
    «Sir Reginald ist wieder da. Lassen Sie wenigstens ihn rein.»
    Gegen sechs Uhr überredete Stewart Ferguson einen der Nachbarn, ihm sein Telefon zur Verfügung zu stellen, und belästigte Jackie so lange mit Ulkanrufen, bis sie den Hörer neben den Apparat legte.

    Jackie wurde als erste der Belagerung müde. Während Miss Baker in der weisen Geduld des Alters und Humphrey von seiner Veranlagung her wie geschaffen dafür waren, eine Stellung für

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