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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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sich alle gegenseitig an die Kehlen, noch bevor wir die deutsche Grenze hinter uns gelassen haben?«
    Gute Frage. Eher noch früher, dachte ich.
    Jan hob die Schultern. »Es wird schon alles gut gehen«, meinte er dann und strahlte allen Optimismus aus, zu dem er im Augenblick fähig war. War nicht viel.
    Ich nickte entschlossen. »Wir schaffen das.«
    »Na gut«, sagte Papa, wirkte aber nicht sonderlich überzeugt. »Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir so weit kommen wie möglich.«
    Wir kamen bis Egestorf, der ersten Autobahnausfahrt nach Garlstorf. Dann brach der erste große Sturm im Innern von Ashokas Pril-Kleinbus los.

16. Irene wehrt sich
    Zunächst waren wir froh, endlich alle im Auto zu sitzen. Papa am Steuer und Jan neben ihm. Dann kamen Marie und ich mit Mama in der Mitte. Hinter uns hatten Grete, Irene und Rüdiger Platz genommen. Wir alle trugen praktische Reiseklamotten, nur Grete und Marie verzichteten nicht auf ihre schwarzen Trauerkleider. Wobei Gretes Kleid noch einen Tick schwärzer wirkte als Maries. Klar, sie musste zur Schau stellen, dass sie die offizielle Witwe war.
    Ich blickte kurz am Haus hoch. Hinter dem Fenster zum Schlafzimmer der Großeltern stand Opa und starrte kopfschüttelnd zu uns herunter. Als er meinen Blick auffing, hob er den Arm und drohte mir mit dem arthritischen Zeigefinger.
    So bleibt also mein Lebenswerk einsam und verlassen zurück, sollte das wohl bedeuten. Ganz klar, er bedauerte es schon mindestens seit seiner Einäscherung, mich zur Haupterbin gemacht zu haben. Oder seit seiner abenteuerlichen Zugfahrt.
    Tja, dumm gelaufen, Opa. Ich atmete tief durch.
    Von hinten traf mich klatschend eine lange nasse Zunge im Nacken. Danke, Rüdiger, ich liebe dich auch.
    Aus dem Stall erklang zweistimmiges Wiehern. Ernie und Bert schickten uns ihren Abschiedsgruß. Rüdiger bellte zurück. Um die Ponys würde sich Karl Küpper kümmern. Darum hatte ihn Papa noch gebeten.
    Langsam rollte der Kleinbus vom Hof und bog auf die Landstraße ein. Grete saß am Fenster, aufrecht wie eine Königin in ihrer vierspännigen Kutsche. Fehlte nur noch, dass sie einer vorbeiziehenden Heidschnuckenherde huldvoll zugewinkt hätte. Marie hinter ihr saß eingesunken und still. Etwas raschelte. Ich fand, es duftete plötzlich nach Pflaumenkuchen. Offensichtlich war ich nicht ausgeschlafen. Erst Opa am Fenster und nun Kuchenduft in der Nase.
    Zwanzig Minuten später nahmen wir die Autobahnauffahrt Garlstorf. Papa beschleunigte, wenn auch unwesentlich. Ich hoffte, dass Jan bald das Steuer übernehmen würde. In diesem Tempo kämen wir erst zu Weihnachten in Apulien an. Und ich konnte ja auch eine Strecke fahren.
    In Richtung Süden herrschte an diesem Montagmorgen auf der A 7 wenig Verkehr. Die Pendler strebten allesamt auf der anderen Seite nach Hamburg.
    Gerade war ich halbwegs eingenickt, als Mama laut sagte: »Ich verstehe immer noch nicht, warum du nach all den Jahren ausgerechnet jetzt in unser Leben platzen musstest.«
    »Das ist auch nicht nötig«, gab Irene knapp zurück.
    Ich horchte auf. Ihrer Stimme fehlte der unterwürfige Ton, den sie in der vergangenen Woche stets angeschlagen hatte. Anscheinend war sie die Rolle der bösen Hexe, die in ein Familienidyll platzte, gründlich leid.
    Konnte ich verstehen. Ich war auch nicht gern die schwarze Heidschnucke der Familie gewesen.
    Gewesen?
    Na ja, Nele.
    Und das mit dem Familienidyll stimmte sowieso nicht hundertprozentig. Musste ich Irene bei Gelegenheit mal erzählen.
    Ich sah, wie wir die Ausfahrt Egestorf passierten, und fing Papas eindeutigen Blick im Rückspiegel auf. Von wegen Italien. Von wegen deutsche Grenze.
    Mamas Hals knackte leise, so stark verrenkte sie ihn, um Irene streng in die Augen schauen zu können.
    »Ich habe ja wohl ein Recht drauf zu erfahren, was im Leben meiner Tochter vor sich geht.«
    Nur mit einiger Mühe konnte ich ein Kichern unterdrücken. Mama als Löwenmutter – das Bild passte zumindest für die letzten dreizehneinhalb Jahre nicht mehr. Klar, wir waren in Kontakt geblieben, aber hauptsächlich war Heidi damit beschäftigt gewesen, sich in eine erwachende Bodhi zu verwandeln.
    Irene beugte sich vor und starrte sie an. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
    Meine zwei Mütter. Komisches Gefühl, wie sich diese beiden Frauen meinetwegen stritten. Ob sich das überhaupt lohnte? Wenn ich nun die ideale Tochter gewesen wäre. Treu sorgend, mit einem braven Ehemann und diversen

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