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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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entspannte ich mich. Jan kam mit einer Flasche kühlem Berlucchi herein, den Sissi uns hochgeschickt hatte.
    Ich fragte mich, ob ich die Neuigkeiten über Paul lieber nüchtern oder angesäuselt verkraften würde.
    Ich entschied mich für Letzteres. Zum Glück.

17. Wat de Buer nich kennt …
    »Eigentlich«, sagte Sissi, »hätte mir der Boni ja gar nichts verraten dürfen. Ihr wisst schon, Amtsgeheimnis und so. Er ist da ziemlich korrekt.«
    Ich schwieg. Die Charakterzüge des Bonifaz interessierten mich gerade nicht sonderlich.
    »Beamte!«, stieß Jan hervor. »Ich finde, es sollte mal eine Schweigepflicht für Friseure eingeführt werden. Was wir so alles zu erzählen hätten …«
    Wir lagen zu dritt auf dem Kingsize-Bett in unserem Zimmer. Sissi war vor zehn Minuten mit einer zweiten Flasche Berlucchi hinzugestoßen. Die war jetzt auch schon fast leer.
    »Jan, bitte. Nun lass Sissi doch mal reden.«
    Meine beste Freundin sah von einem zum anderen, holte tief Luft und sagte: »Ein Kind!«
    Hä?
    »Was?«, fragte Jan.
    Ich starrte in mein leeres Glas. Entweder ich gewöhnte mir bald mal die Sauferei ab, oder ich würde für den Rest meines Lebens mit Halluzinationen rechnen müssen. Sicherheitshalber linste ich in alle vier Zimmerecken. Opa war nicht da. Gott sei Dank. Wäre ja auch ein ziemlich weiter Weg für einen Geist gewesen.
    Jan und ich warteten beide darauf, dass Sissi einen Lachanfall bekam und erklärte, sie habe nur mal unsere dummen Gesichter sehen wollen.
    Tat sie bloß nicht.
    Sie blieb ernst, erklärte nichts.
    »Mehr hat mir der Boni nicht verraten, das müsst ihr mir glauben. Ich habe sogar versucht, mit einem Kuss und einem heißen Versprechen noch mehr aus ihm herauszubekommen, aber da war nichts zu machen. Der Kerl ist plötzlich immun gegen mich.«
    Musste hart für sie gewesen sein.
    »Für mich hat noch kein Freund ein erotisches Opfer dargebracht«, stellte Jan fest. Wie viel hatte der eigentlich getrunken?
    Sissi kicherte.
    Ich war vollkommen nüchtern. »Ein Kind? Will Paul etwa jemanden adoptieren? Ein richtiges Kind?«
    »Nee«, murmelte Jan, »einen Münchener Bierkutscher.«
    »Sehr witzig.«
    Sissi hob die Schultern. »Wie gesagt, mehr war aus dem Boni nicht rauszukriegen. Wie findest du das, Nele?«
    Wie ich das fand? Woher sollte ich das denn wissen?
    Jan legte mir einen Arm um die Schultern. »Nele muss den Schock erst mal verdauen. Ist ja ein starkes Stück. Und Paul hat nie auch nur ein Sterbenswort gesagt, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nicht zu fassen«, meinte Sissi. »Dabei seid ihr so gut wie verlobt. Und dann verschweigt er dir eine derart existenzielle Familienangelegenheit.«
    Shit! Das klang jetzt aber dramatisch.
    »Vielleicht ist alles nur halb so wild«, erklärte Jan mit wenig Hoffnung in der Stimme.
    Ich setzte mich auf. Das war die Lösung. »Genau! Es geht gar nicht um Paul selbst. Er handelt im Auftrag eines Klienten.«
    Sissis Gesichtsausdruck ließ mich zurücksinken. »Sorry, Nele, aber in dem Punkt habe ich den Boni ganz genau verstanden. Es geht wirklich um eine persönliche Sache.«
    »Und was jetzt?«, fragte ich kleinlaut.
    Jan runzelte die Stirn. »Hast du noch mal versucht, ihn zu erreichen?«
    »Sechsmal. Nein, sieben.«
    »Das ist sinnlos«, stellte mein Bruder fest. »Der will im Moment keinen Kontakt. Dann kannst du nur abwarten, bis er dir von selbst alles erklärt.«
    Wie ich das hasste! Tatenlos rumsitzen und hoffen, dass sich die Dinge von allein lösten.
    War noch nie mein Ding gewesen.
    Ich sprang auf. »Wir gehen aus!«, erklärte ich. »Hier drinnen halte ich es keine Sekunde länger aus.«
    Jan und Sissi tauschten einen besorgten Blick. Die lassen wir heute lieber nicht aus den Augen, schienen sie sich zu sagen.
    Auch recht.
    Es wurde eine lange Nacht. Mit Sissi und Jan im Schlepptau klapperte ich die Bars und Klubs aus meiner Münchener Zeit ab. Hier und da wurde ich mit großem Hallo begrüßt, und ich tauschte angeregt Neuigkeiten aus. Ein paar Mojitos gab es auch, und es dauerte einige Stunden, bis mir bewusst wurde, dass ich mich nicht wohlfühlte. Die Gespräche langweilten mich, die Mojitos schmeckten schal. Ich merkte plötzlich, dass mir Ottos verkommene Kneipe in Nordergellersen fehlte. Mit Bier und Schnaps, mit vergilbten Gardinen, Besteck in angeschlagenen Gläsern und verstaubten Trophäen.
    Hin und wieder rief ich Paul an. Der Gedanke, ihm ganz nah zu sein und ihn doch nicht erreichen zu können, war unerträglich.

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