Oma packt aus
in der Nacht wurde ich von lauten Schreien geweckt.
»Il cane! Il cane sta morendo!«
Was? Das klang ja, als würde jemand sterben. Und was hieß cane?
»Der Hund stirbt!« Das war Margheritas Stimme.
Ogottogott!
Rüdiger!
So schnell war ich im Leben noch nicht angezogen gewesen. Als ich in den Hof gerannt kam, war dort schon eine Gruppe Menschen versammelt. Ich drängte mich durch den Kreis und erreichte die Mitte.
Vor Schreck schnappte ich nach Luft. Dort lag Rüdiger und stöhnte herzzerreißend. Sein Bauch war ein prall gefüllter Ballon, die Kalbsaugen quollen ihm aus den Höhlen. Aus seinem Maul sickerte gelblicher Schaum.
Irene drängte sich neben mich.
»Mein Dicker!«
Rüdiger stöhnte und rülpste.
»Was hast du gefressen?«
»Tiramisù«, murmelte Margherita kreidebleich.
»Aber nur eine kleine Portion. Ich schwöre. Jan und ich haben auch fünf Schüsseln voll für die Erwachsenen zubereitet, aber …«
»Die sind auch leer«, verkündete Jan, der jetzt zu uns trat. »Ich habe gerade nachgesehen. Jemand hat die Küchentür offen gelassen.«
»Aber die Schüsseln waren doch im Kühlschrank«, gab Margherita zurück.
Irene stöhnte mit ihrem Liebling im Duett. »Rüdiger konnte schon als Welpe Kühlschranktüren öffnen.«
»Der braucht einen Einlauf«, erklärte Oma Grete. In ihrem riesigen weißen Nachthemd und den abstehenden Haaren sah sie aus wie ein übergewichtiges Gespenst.
Sie sah niemanden an, und ich entdeckte den Anflug eines schlechten Gewissens auf ihrem Gesicht.
»Du bist vorhin noch mal aufgestanden«, sagte da auch schon Marie, die sich sittsam in einen Morgenmantel gekleidet hatte.
»Oh.« Margherita war kurz abgelenkt. »Sie kann sprechen?«
»Natürlich«, gab ich geistesabwesend zurück.
»Und ich dachte, sie ist stumm wie Tante Graziella.« Sie deutete auf Maries Wahlschwester.
Deshalb also verstanden sich die beiden so gut.
Grete verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe mir ein Glas Wasser geholt, aber die Küchentür habe ich wieder geschlossen.« Sie klang jedoch nicht so überzeugt, wie sie sich zu geben versuchte.
»Das ist doch jetzt nicht wichtig«, sagte ich schnell. »Margherita. Kennst du einen Tierarzt?«
Bevor sie antworten konnte, betrat der Padrone den Hof. Er war als Einziger korrekt gekleidet. »Ich habe bereits Dottore Gandolfi angerufen. Er wird in fünf Minuten hier sein.«
Wir Lüttjens’ und Irene atmeten auf, die Occhipintis warfen einander Blicke zu, die ich nicht zu deuten wusste.
Rüdiger pupste. Es klang wie Kanonenschüsse. Einige der Umstehenden hielten sich die Nase zu.
Jemand wagte es, über die Verschwendung der leckeren Nachspeise zu klagen, wurde aber mit zischenden Zungen zum Schweigen gebracht.
Mein großer Freund hatte die Herzen der Italiener im Sturm erobert. Niemand wollte ihn leiden sehen.
Das Pups-Konzert dauerte an, und selbst ich hätte mich jetzt über einen frischen Windstoß gefreut.
Im nächsten Augenblick hielt ein Auto mit quietschenden Reifen an der Straße.
Ein älterer Herr kam herbeigelaufen. In der Hand trug er eine altmodische schwarze Arzttasche.
»Don Antonio! Warum stehen Sie hier herum? Sofort ins Bett mit Ihnen!«
Margherita übersetzte simultan. Dabei starrte sie den Neuankömmling mit einer Mischung aus Hoffnung und Ungläubigkeit an. Wir anderen tauschten ahnungsvolle Blicke.
»Ich bin nicht der Patient«, gab der Padrone ungerührt zurück.
»Was? Aber Sie haben mir am Telefon von schlimmen Bauchschmerzen erzählt. Von einer möglichen Vergiftung!«
»Ganz genau. Aber es geht um Rüdiger.«
Den Namen konnte Dottore Gandolfi offenbar nicht aussprechen, also hob er nur ein Paar graue Augenbrauen. Der Kreis der Menschen öffnete sich und ließ den Doktor durch eine schmale Gasse treten, bis er Rüdiger entdeckte.
Dottore Gandolfi fasste sich ans Herz. »Gesù Cristo!«
Langsam wandte er sich zu Don Antonio um. »Das ist ein schlechter Scherz.«
»Keineswegs. Dem armen Kerl geht es sehr schlecht, und ich wusste, Sie würden am schnellsten hier sein.«
»Ich bin Humanmediziner. Ich behandle keine gefleckten Mammuts.«
Mannomann!
Rüdiger wurde ja immer größer. Aber so lang ausgestreckt mit dem aufgeblähten Bauch war er dem Färsenalter jetzt tatsächlich entwachsen.
»Ich fahre nach Hause. Rufen Sie einen Tierarzt an.«
Hinter dem Doktor entstand Unruhe.
Leute wichen zurück, einige schrien entsetzt auf.
Plötzlich stand da Oma Grete. Sie sah immer noch aus wie ein
Weitere Kostenlose Bücher