Oma packt aus
Gespenst, jedoch um einiges furchterregender als vor fünf Minuten. In der rechten Hand trug sie ein Schlachtermesser mit einer Klinge von gut dreißig Zentimetern Länge.
»Sie gehen nirgendwohin, wenn Sie nicht aufgeschlitzt werden möchten«, sagte sie ruhig und wartete, dass Margherita übersetzte. Weil sie dem Mädchen nicht ganz traute, machte sie mit der freien Hand noch eine typische Bewegung über ihre Kehle. »Und dann spritzt Ihr Blut in einer Fontäne über den Hof und macht ein hübsches Muster.«
Der Doktor wurde bleich wie das Mondlicht. Regelrecht blutleer sah der schon aus.
Rüdiger, dachte ich, wenn du wüsstest! Deine ärgste Feindin kämpft für dich.
Ich liebte meine Oma jetzt sehr. Mal abgesehen von ihrer mafiösen Art.
Hier und da ertönte Applaus.
Grete ließ sich nicht ablenken. Das Messer näherte sich blitzend der faltigen Kehle des Arztes. »Hasta la vista, Baby«, murmelte sie.
»Va bene, va bene«, sagte der Doktor, der Gretes Befehle vermutlich auch ohne eine Waffe in ihrer Hand befolgt hätte. Er war höchstens halb so breit wie sie.
Dann wandte er sich seinem Patienten zu.
Rüdiger pupste.
23. Rüdiger darf nicht sterben
Dottore Gandolfi hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. Vorsichtig beugte er sich zu Rüdiger hinunter.
Irene gesellte sich zu ihm und outete sich als dessen Besitzerin. Marc Aurel alias Giovanni blieb dicht an ihrer Seite. Alle anderen hielten gespannt die Luft an. Einzig der Padrone wirkte entspannt. Offenbar setzte er große Hoffnungen in seinen Leibarzt.
Ich sah, wie der Doktor auf seinem Handy jemanden anrief.
»Er spricht mit einem Tierarzt, den er wohl vom Boccia-Spielen kennt«, erklärte mir Margherita. »Es geht darum, ob Rüdiger eine Magendrehung erlitten hat. Die ist lebensgefährlich.«
Dio mio!
»So etwas passiert, wenn ein Hund, der sich überfressen hat, zu viel herumläuft.« Margherita bemerkte meinen Gesichtsausdruck und fügte schnell hinzu. »Aber ich glaube das nicht. Rüdiger war bestimmt noch müde von der Suche nach dir. Der hat sich nach dem Fressen da hingelegt und rührt sich seitdem nicht mehr.«
Ich betete, Margherita möge recht haben.
Niemand außer mir achtete auf Oma Grete, die plötzlich allein mit dem Messer in der Hand dastand. Für einen Moment sah sie aus, als bedauerte sie, dass Dottore Gandolfi so schnell nachgegeben hatte. Das ganze Gerede von Mafia und Vendetta färbte offenbar ab.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und ging zu dem Trullo, aus dessen Küche sie das Messer geholt hatte. Dann trat sie mit leeren Händen heraus und verschwand in ihrem und Maries Trullo. Als sie wieder im Hof erschien, trug sie ebenfalls einen Morgenmantel. In ihrem Einkaufsnetz klimperten zwei Flaschen Doppelkorn und drei Dutzend Schnapsgläser.
Wow! Was die alles aus Nordergellersen mitgenommen hatte! Aber die Idee war gut. Auf den Schreck konnten wir alle einen guten Köm vertragen.
Die eine Flasche war aber nicht für uns gedacht. Grete trat zum Doktor und drückte sie ihm in die Hand. »Die soll der Hund austrinken. Damit hat mein Hermann schon Koliken bei unseren Pferden kuriert.«
»Wie genau?«, fragte der Arzt über Margherita zurück.
Grete schüttelte den Kopf über so viel Unwissen und steckte sich zum besseren Verständnis einen Finger in den Mund.
Hektisch sprach Dottore Gandolfi in sein Handy. Der Bocciafreund hatte so seine Einwände gegen diese norddeutsche Rosskur.
Rüdiger rollte mit den Augen.
»Schade, dass nicht wenigstens eine der Schüsseln in Plastikfolie verpackt war«, sagte Jan, was keiner außer den Eingeweihten verstand.
Irene versuchte derweil, ihren Dicken zum Brechen zu überreden. Sicherheitshalber machten die Umstehenden ein paar Schritte zurück.
»Was ist hier los?«, fragte plötzlich eine herrische Stimme.
Anna! Die hatte uns gerade noch gefehlt.
Ich staunte.
Anna war nicht nur korrekt gekleidet, sondern auch perfekt frisiert und geschminkt. Von Jan erntete sie dafür einen anerkennenden Blick. In Marcellos Augen lag ein anderer Ausdruck. Gesteigertes erotisches Interesse.
Oder so ähnlich.
Ganz klar, die Versöhnung dauerte noch heftig an. Hoffentlich war ich am Ende nicht für eine weitere Vermehrung der Occhipintis verantwortlich. Anna schien zwar über das Alter hinaus zu sein, aber, wie Opa Hermann zu sagen pflegte, man hatte schon Pferde kotzen sehen.
Der Gedanke ließ mich wieder zu Rüdiger schauen. Da sich der Doktor vor Ort und der Viehdoktor am Handy
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