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Oma und Frieder - Sammelband

Oma und Frieder - Sammelband

Titel: Oma und Frieder - Sammelband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Mebs
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sagt sie und will nach dem Frieder greifen.

    »Gar nicht«, schreit der und hüpft schnell weg und reißt die Augen sperrangelweit auf. Damit die Oma ja auch sieht, wie groß und wach seine Augen noch sind.
    »Der Sandmann kommt heute später, oder aber überhaupt nicht«, ruft er und grinst die Oma an.
    Die Oma seufzt tief auf, greift nach der Brille und dem Märchenbuch und sagt: »Na schön, noch zehn Minuten.«
    Frieder hockt sich an den Küchentisch und beschließt, hier bleibt er hocken. Die ganze Nacht lang.
    Die Oma liest vor. Rotkäppchen. Das ist Frieders Lieblingsmärchen, er kennt es gut. Und eifrig spricht er mit, Satz für Satz. Wie das Rotkäppchen die Oma besuchen geht und wie sie Blumen pflückt für die Oma, weil die doch krank ist und Blumen und Kuchen und Wein zur Stärkung kriegen muss. Und wie dann der grausliche Wolf kommt und so freundlich tut und dann ganz gemein ist und die Oma
    schluckt, ehe sie Wein und Kuchen und Blumen und Besuch vom Rotkäppchen kriegt. Und wie das Rotkäppchen gar nicht merkt, dass da im Bett in der Nachthaube gar nicht die Oma liegt, sondern der böse Wolf. >Ich hätte das gleich gemerkt<, denkt der Frieder, >weil meine Oma auf jeden Fall anders aussieht als der böse Wolf, auch im Bett.< Und er stützt den Kopf in die Hände und hört zu und freut sich, dass alles ein gutes Ende nimmt. Als die Geschichte zu Ende ist, da sind die zehn Minuten längst vorbei.
    »Zu Bett, zu Bett«, gähnt die Oma und klappt das Märchenbuch zu. »Es hat der Sandmann angeklopft.«
    »Bei mir nicht«, sagt der Frieder. »Ich bleib auf. Das haben wir doch ausgemacht.« »Das wäre mir neu«, sagt die Oma und gähnt laut. »Ich geh ins Bett, weil, ich bin müd. Mach du, was du willst.«
    »Geh nur, Oma«, sagt der Frieder und macht es sich auf dem Küchenstuhl bequem, »ich pass auf

    dich auf. Damit kein böser Wolf kommt und dich frisst.«
    »Wie schön«, sagt die Oma. »Dann gute Nacht.« Sie gibt dem Frieder noch einen Schmatz und geht.
    Frieder grinst. Die Oma ist müde. Sie ist halt alt. Aber er bleibt wach. Die ganze Nacht lang. Hier alleine in der Küche. Frieder schiebt den Stuhl ans Fenster. Es schneit in dicken Flocken. Langsam fallen sie durch den dunklen Abendhimmel. Immerzu. Schön sieht das aus, so viele dicke Schneeflocken, eine nach der anderen ... eine, neun, hundert. Frieder zählt mit. Zählen kann er gut. Schon bis neun und ein bisschen bis hundert. Wenn er bei neun ist, fängt er wieder von vorne an. Frieder zählt und verzählt sich. Die Flocken fallen so dicht, von oben nach unten, von oben nach unten ... Frieder verzählt sich immer öfter. Schneeflocken zählen macht müde ... kalt ist es in der Küche ... Schneeflocken zuschauen macht auch müde ... Frieders Augen klappen zu. Frieder reißt sie wieder auf. Ganz weit. Er will nicht schlafen. Jetzt nicht und sowieso überhaupt nicht.
    Sicher ist es jetzt schon ganz spät. Ganz späte schwarze Nacht. So eine späte Nacht, wo Frieders schlafen und Omas auch. Frieder blinzelt und blinzelt. Und er beschließt: Er erzählt sich was. Beim Erzählen bleibt man wach. Er erzählt sich selber vom Rotkäppchen. Weil er das am besten kann. Und laut fängt er an: »Es war einmal ein kleines Mädchen ...« Wie laut seine Stimme in der nachtdunklen Küche klingt. Zum Fürchten laut. Frieder räuspert sich, fängt noch mal an, diesmal leiser, und immer leiser ... starrt in den nachtschwarzen Winterhimmel und flüstert vor sich hin: »... das Rotkäppchen hat Blumen gepflückt ... im Schnee ... und Brot und Wein ... und dann kam der böse Wolf ... der hat auch Blumen gepflückt ... im Schnee ... und er hat an den Pfoten gefroren ... im Schnee ... und das Rotkäppchen auch ... und dann ...«
    Frieders Stimme wird immer leiser, die Augen fallen ihm zu. Er rutscht vom Küchenstuhl und murmelt: »... und dann ist die Oma gekommen ...«
    »Und die bringt dich jetzt ins Bett, Nachtlauser du«, wispert es plötzlich.
    Frieder will aufspringen. Der Wolf! Der böse Wolf! Jetzt ist er gekommen! Jetzt will er ihn fressen! Frieder will weglaufen. Ganz schnell. Er kann nicht. Seine Beine sind so müde. »Nicht fressen«, stöhnt er und macht sich ganz klein auf dem kalten, harten Küchenboden. »Bitte nicht fressen.«
    »Nie und immer«, sagt die Oma, hebt den Frieder hoch und trägt ihn in sein Bett. »Der Wolf ist da und der frisst Omas«, jammert der Frieder und kuschelt sich ganz eng auf den Küchenboden. Der Küchenboden ist plötzlich

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