Omega Kommando
Nachforschungen hatten ergeben, daß Hollins neunundfünfzig Jahre alt war, doch er sah ein gutes Dutzend Jahre jünger aus. Sein glattes, silberfarbenes Haar, das noch immer sehr dicht wuchs, fiel ihm bis über die Ohren und in die Stirn. Er trug verblichene Jeans, ein grobes, am Hals geöffnetes Hemd, das ein buntgeflecktes Halstuch enthüllte, und abgetragene Cowboystiefel. Seine Haut war runzlig und faltig und von der Bergluft und der Wintersonne kupfern gebrannt. Hollins tiefliegende Augen – von der gleichen Farbe wie der Himmel über Montana – beobachteten, wie Buck ihre Taschen ins Haus trug.
»Sie hat Ihre Einladung akzeptiert, Spud«, sagte er.
»Wie schön«, sagte Hollins, und Sandy lächelte gepreßt, ohne sich zu erinnern, daß sie sie tatsächlich akzeptiert hatte.
Hollins schloß die Doppeltür. »Wollen wir zuerst reden oder uns etwas frisch machen?«
»Reden«, sagte Sandy eifrig. »Ich habe eine zu weite Reise hinter mir, als daß ein kurzes Frischmachen noch etwas bewirken könnte.«
»Für eine hübsche Dame wie Sie besteht dazu sowieso nicht viel Veranlassung, schätze ich. Gehen wir ins Wohnzimmer. Kaffee?«
»Bitte.«
»Buck«, sagte Spud, »die Küche soll uns ein paar Tassen Kaffee kochen.«
Dann traten die beiden durch einen kurzen Gang in einen großen Raum, in dem in einem Kamin ein Feuer knisterte.
»Toll«, war alles, was Sandy sagen konnte.
»Ja, das ist auch mein Lieblingszimmer.«
»Es ist wunderschön«, fügte sie lahm hinzu, wie bezaubert von der Naturholzeinrichtung und der Aussicht, die man durch eine nur aus Glas bestehende Wand hatte.
Hollins' Blick schweifte in die Ferne. »Nun, manchmal sitze ich einfach hier und frage mich, wieso es so lange gedauert hat, aus der wirklichen Welt heraus- und in diese hier hineinzukommen. Ich glaube, sie hat in mir gesteckt wie eine Droge. Ich wollte heraus, hatte aber nicht den Mut dazu. Schätze, ich verdanke Randy Krayman mehr als jedem anderen.«
Sandys Augen funkelten. Interviews gingen viel leichter vonstatten, wenn der Befragte das Thema zuerst anschnitt. Sandy faßte den Entschluß, während des Gesprächs kein Tonband zu benutzen und keine Notizen zu machen, nichts zu tun, was den natürlichen Fluß von Spud Hollins' Gedanken unterbrechen könnte. Dieser Mann hatte sie in seinen Bann geschlagen, gefesselt. Er war wie einer dieser Politiker, von denen man nicht den Blick abwenden kann, wenn man sie einmal gesehen hat. Vielleicht hatte er seinen wahren Beruf verfehlt. Nein, wahrscheinlich war Spud Hollins einfach ein Mann, der aufrecht stehen konnte, weil er dem ständigen Druck des Gewichts, das auf so vielen in der Geschäftswelt lastet, entkommen war. Er sah aus wie ein Mann aus einem Werbespot für Ralph-Lauren-Aftershave. In der Tat sah er wie eine rauhe, ländliche Version Ralphs selbst aus.
»Setzen wir uns auf die Couch, Miß Lister«, schlug er vor, und als sie Platz nahmen, bemerkte Sandy ein Kamingesims, das von Bildern seiner zahlreichen Kinder und Enkelkinder umsäumt war. Seine Frau war, wie sie wußte, vor einigen Jahren gestorben, als der Kampf mit Krayman gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte.
»Ich habe langsam den Eindruck, an einer Story über den falschen Mann zu arbeiten, Mr. Hollins.«
Hollins lachte. »Nennen Sie mich Spud. Ich habe dieses ganze Getue mit meinem Sitz im Aufsichtsrat hinter mir gelassen. Der Arsch, wenn Sie meine Wortwahl entschuldigen möchten, nimmt eine seltsame Form an, wenn man zu lange im Geschäftsleben sitzt. Nein, Krayman ist eine viel bessere Wahl für diese Sache als ich. Er hat jetzt wahrscheinlich nicht mehr viel Arsch übrig.«
Ein Dienstmädchen trat ein und stellte zwei Tassen mit dampfendem Kaffee und dazu üppig bemessene Schälchen mit Sahne und Zucker auf den Beistelltisch vor der Couch.
»Nicht viele sind bereit, in der Öffentlichkeit über ihn zu sprechen, Spud«, sagte sie und gab zwei Löffel Zucker und einen Schuß Sahne in den Kaffee.
»Kann nicht behaupten, daß ich ihnen dafür einen Vorwurf mache, Sandy. Die Leute haben Angst vor dem alten Randy Krayman, weil sie wissen, daß er im Lauf der Jahre ein paar gefressen hat.«
»Wie Sie zum Beispiel?«
Hollins lächelte, lachte aber nicht. »Nun, in meinem Fall habe ich den Großteil des Fressens erledigt. Krayman schnappte mir hier und da ein paar Bissen weg.«
Sandy nippte an ihrem Kaffee. Er verbrannte ihr die Zunge, schmeckte aber wunderbar.
»Bisse ist eine interessante Wortwahl, Spud.
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